- Stereophotogrammetrie
Stereophotogrammetrie ist eine Sonderart der allgemeinen oder Intersektionsphotogrammetrie; hierbei werden in den Endpunkten einer der Lage und Höhe nach bekannten Grundlinie photogrammetrische Aufnahmen gemacht, deren Orientierungswinkel 90° betragen; die Bilddistanz ist also normal zur Basis und befinden sich die Bildebenen beider Stationen in derselben Vertikalebene. Ähnlich ist die Aufnahme in der Stereoskopphotographie mit dem Unterschied, daß bei stereophotogrammetrischen Aufnahmen der Objektivabstand durch die Basislänge b feststeht, von einigen bis auf Hunderte von Metern anwachsen kann, während er bei gewöhnlichen Stereoskopaufnahmen dem Augenabstand a = 75 mm gleichkommt.
Richtig hergestellte, in einen Stereoskopapparat eingelegte Stereoaufnahmen bieten dem Beschauer zufolge der Fähigkeit der menschlichen Augen, stereoskopisch zu sehen, ein räumliches, plastisches Bild, sozusagen ein Modell des photographierten Gegenstandes. – Auch die stereophotogrammetrischen Aufnahmen liefern, in einen besonderen Apparat, Stereokomparator, eingelegt und mit einem binokularen Mikroskop, Telestereomikroskop, betrachtet, plastische Landschaftsbilder von demselben Effekt, als wenn man ein reduziertes Modell des aufgenommenen Geländes mit freiem Auge ansehen würde. Besondere Einrichtungen ermöglichen es, eine Marke im plastischen Bild beliebig von Punkt zu Punkt zu führen und an dem Terrainmodell Messungen zu machen, deren Daten, am Apparat abgelesen, Lage- und Höhenbestimmungen der ausgemessenen Punkte mit Zugrundelegung der bekannten Basis der Aufnahme zulassen und damit Situations- und Schichtenpläne herzustellen gestatten. Das stereoskopische Meßverfahren, mit der erwähnten wandernden Marke am Modell des Geländes in voller Bequemlichkeit am Instrument im Zimmer ausgeführt, fußt auf der Tiefenwahrnehmung beim stereoskopischen Sehen und ist hoher Genauigkeit fähig.
Bedeuten in Abb. 174 M und N die Endpunkte, Stationen, der bekannten Basis b, T T die Trassen der zusammenfallenden Bildebenen (Positive), im Abstand f (Bilddistanz) von der Basis entfernt, x1 und x2 die Abszissen des linken und rechten Bildes, so reichen unter Voraussetzung, daß M der Ursprung, die Basis die x-Achse eines räumlichen Koordinatensystems darstellen, zur Situationsbestimmung die Koordinaten aus:
wobei p = x1 – x2 die stereoskopische Parallaxe genannt wird. Der Abstand des Raumpunktes P vom Horizont der linken Station, die relative Höhe Z = h, wird mit Hilfe der Ordinate y1 des linken Bildes, wie in Abb. 174 aus der Umlegung rechts zu entnehmen ist, mit:
erhalten.
Ist H0 die absolute Höhe des Instrumenthorizonts der linken Station, so ist H = H0 + h die absolute Höhe des Raumpunktes P.
Neben dieser rechnerischen Bestimmung der Raumkoordinaten von P ist an der Hand der Abb. 174 die konstruktive Bestimmung der Lage, Situation, und der Höhe unschwer zu finden.
Die Bildkoordinaten x1 y1 insbesondere die stereoskopische Parallaxe p = x1 – x2 werden nicht nach der in der Photogrammetrie üblichen Weise direkt gemessen, sondern werden mit dem Stereokomparator von Pulfrich in äußerst bequemer Weise erhalten.
Der Stereokomparator (Abb. 175) besitzt als wesentlichen Bestandteil ein Telestereomikroskop, mit dem das plastische Bild der eingelegten Stereogramme (Negative) betrachtet und mit Hilfe besonderer Einrichtungen Messungen ausgeführt werden können. Der Komparator hat zum Träger einen massiven Tisch, auf dem der Hauptschlitten A mit der Kurbel H in der Richtung des Horizonts beider Platten P1 und P2 (mittels D1 D2 und C justierbar) verschoben werden kann; die Größe der Verschiebung wird auf dem Abszissenmaßstab (X, L2) abgelesen. Ein binokulares Telemikroskop mit den im erweiterten Abstand angebrachten Objektiven K1, K2 und den stellbaren Okularen O1, O2 ist mittels der Kurbel V mit dem Schlitten B verstellbar; die Verstellung wird am Ordinatenmaßstab (Y, L1) abgelesen. Die Parallaxenschraube Z ermöglicht durch Verschiebung der rechten Platte P2 auf einem Nebenschlitten, die stereoskopische Parallaxe p auf 0∙01 mm scharf an einem Maßstab abzulesen. Die Spiegel S1, S2 bezwecken eine günstige Beleuchtung der eingelegten Negative. Die Schraube J verbindet das Telestereomikroskop mit seinem Träger und kann nach Lösung der Schraube das Mikroskop abgenommen werden.
Die Bestimmung der 3 Komparatordaten x1, y1 und p wird in folgender Weise vorgenommen. Die beiden Stereogramme, Negativplatten, werden eingelegt und justiert; hierauf wird die Marke des linken Mikroskops auf den gewählten Punkt der linken Platte mittels der Kurbeln H und V gebracht (monokulare Einstellung) und nunmehr bei binokularer Beobachtung im Mikroskop und Betätigung der Parallaxenschraube Z die im plastischen Bild der Landschaft schwebende Marke, die wandernde Marke, präzise auf den ins Auge gefaßten Punkt gestellt. An den Koordinatenmaßstäben des Komparators können nun x1, y1 die Koordinaten des linken Bildes, und am Parallaxenmaßstab die stereoskopische Parallaxe p = x1 – x2 abgelesen werden.
Durch diese 3 Größen ist der Raumpunkt unzweideutig bestimmt: die Abszisse x1 gibt die Richtung, p definiert den Abstand von der Basis (Ebene gleicher Parallaxe p in Abb. 174) und y1, ist für die Höhe des Punktes über dem Horizont des linken Bildes maßgebend.
Diese Art der Punktbestimmung am plastischen Raumbild des Stereokomparators hat gegenüber der gewöhnlichen Photogrammetrie den wichtigen Vorteil, daß jede Punktidentifizierung entfällt; man operiert nicht mit 2 Bildern, sondern man betrachtet im Stereokomparator ein kleines Modell der Landschaft, an dem sich die stereoskopische Marke von Punkt zu Punkt führen läßt und die Komparatordaten bequem, ohne jedwede Anstrengung erhalten werden. Die S. ist daher der Intersektionsphotogrammetrie weit überlegen und fand bereits für verschiedene Ingenieurarbeiten, so auch bei Trassierungen nützliche Verwendung.
Hat man für eine Trassenstudie nach gründlicher Rekognoszierung die Operationsbasis, den Polygonzug, gewählt und durch geeignete Signale ersichtlich gemacht, so werden die Standlinien für die Stereoaufnahmen mit Sorgfalt ausgesucht, bezeichnet, geodätisch festgelegt und mit dem Polygonzug der Trasse in sichere Verbindung gebracht, worauf die stereophotogrammetrische Aufnahme durchgeführt werden kann. Die Hausarbeiten umfassen Berechnungen für den Entwurf des Gerippes, der die Grundlage für die planliche Darstellung bietet, die Messungen am Stereokomparator, die Berechnung, Lage- und Höhenelemente für die Detailpunkte, die Kartierung, die Schichtenkonstruktion und die zeichnerische Ausführung der Pläne.
Eine stereophotogrammetrische Aufnahme gestattet zu jeder Zeit die Betrachtung von stereoskopischen Aufnahmen im Komparator und dadurch die naturtreue Betrachtung beliebiger Teile der Trasse, was gegebenenfalls von unschätzbarem Wert sein kann. In den letzten Jahren sind stereophotogrammetrische Aufnahmen für Trassierungszwecke von Major Truck in den Alpenländern und Bosnien, von Dipl.-Ing. Lüscher bei der Bagdadbahn, durch Hauptmann v. Orel vom Institut »Stereographik« in Bulgarien und Mazedonien ausgeführt worden.
Die S. hat durch die Erfindung des österreichischen Hauptmanns v. Orel – den Stereoautographen – einen ungeahnten Fortschritt erzielt. Die Einstellung der stereoskopischen oder wandernden Marke im Stereokomparator auf ein bestimmtes Objekt bedingt eine ganz bestimmte Stellung der beiden Plattenbilder gegeneinander, woraus folgt, daß durch eine mechanische Vorrichtung, die mit dem Schlitten der Plattenbilder in Verbindung ist, die Lage des eingestellten Objekts auf einer Zeichenebene automatisch angezeigt werden könnte.
Nach Überwindung großer konstruktiver Schwierigkeiten ist es dem Zeißschen Institut in Jena gelungen, einen tadellos arbeitenden Stereoautographen (Abb. 176) dem Vermessungstechniker zu liefern.
Der Stereoautograph ersetzt alle früher erforderlichen Rechnungen und Kartierungen. Wird die stereoskopische Marke des Komparators auf einen beliebigen Punkt des Geländes eingestellt, so gibt ein Stift seine Lage auf der Zeichenfläche, und an einem Maßstab kann man dessen absolute Höhe ablesen. Führt der Beobachter am Komparator die Marke längs einer Kommunikation, entlang eines Waldsaumes, einer Parzellengrenze, so zeichnet der Stift die horizontale Projektion in dem auf dem Apparat eingestellten Maßstab.
Der Stereoautograph gestattet aber auch, direkt die Komparatormarke in einer bestimmten Schichtenlinie zu führen, wodurch im Plan unmittelbar die Isohypse gezeichnet erscheint und so unmittelbar ein Schichtenplan des aufgenommenen Geländes gewonnen werden kann. In neuester Zeit ist es gelungen, außer den normal zur Basis liegenden Stereoaufnahmen auch beliebig zur Basis verschwenkte Aufnahmen im Stereoautographen auszuwerten und so die Leistungsfähigkeit dieses sinnreichen Apparates bedeutend zu erhöhen.
Der Pulfrichsche Komparator und der Orelsche Autograph bedeuten ganz neue, für die photogrammetrische Geländeaufnahme wertvolle Instrumente, durch die das Vermessungswesen insbesondere für Ingenieurzwecke im hohen Maße gefördert wird.
Literatur: Aufsätze über S. und Stereoautogrammetrie von Baron v. Hübl, Korzer und v. Orel befinden sich in den »Mitteilungen des k.u.k. Militärgeograph. Institutes« aus den Jahren 1903–1914. – Hartner-Doležal, Hand- und Lehrbuch der Nied. Geodäsie, Bd. II, Wien 1910. – Internat. Archiv f. Photogrammetrie, Bd. I–V, Wien 1907–1917.
Dolezal.
http://www.zeno.org/Roell-1912. 1912–1923.