- Kuppelstangen
Kuppelstangen (coupling rod, parallel rod, side rod; bielle d'accouplement; biella d'accopiamento), jene Konstruktionsteile der Lokomotive, die die Triebachse mit anderen Achsen (Kuppelachsen) derart verbinden, daß das hierdurch gebildete System von Räderpaaren gezwungen ist, gemeinschaftlich zu rotieren. Bedingt werden K. dadurch, daß die Beförderung der schweren Personenzüge und der Güterzüge Zugkräfte erfordert, die durch das nach Anlage der Bahn und durch allgemeine Vorschriften beschränkte Adhäsionsgewicht (q) eines Räderpaares nicht übertragen werden können.
Zur Ausübung der durch Zuggewicht, bzw. Widerstand beim Anfahren gegebenen größten Zugkraft Z (s. Lokomotive) ist ein Adhäsionsgewicht Q = n q erforderlich. Die Anzahl (n) der durch K. zu verbindenden Achsen ist gegeben durch die Beziehung: Z = n ∙ q ∙ f; wobei mit f das Verhältnis der Zugkraft zum Adhäsionsgewicht ist; dieses beträgt bei den neueren Lokomotiven ein Fünftel bis ein Achtel (letzter Wert für Tenderlokomotiven).
Lokomotiven für Personenzüge erhalten zwei bis drei, Lokomotiven für Güterzüge drei bis fünf, vereinzelt auch sechs gekuppelte Achsen.
Abb. 7 a–11 b stellen K. für Personenzuglokomotiven (zwei gekuppelte Achsen), Abb. 12 a u. b eine K. für eine dreifach gekuppelte Lastzuglokomotive dar.
An der K. (11 a u. b) unterscheidet man die Köpfe (K) mit den Lagerschalen (L u. L1) und deren Nachstellvorrichtung und den Schaft S.
Kuppelstangenkopf. Bei Lokomotiven mit innenliegender Steuerung werden fast ausnahmslos K. mit geschlossenen Köpfen angewendet (Abb. 7 a u. b, 8 a u. b, 9 a u. b, 10 a u. b). Liegt die Steuerung außen und sind Gegenkurbeln vorhanden, so werden die Kuppelstangenköpfe meist in Gabelform (Gabelkopf, Abb. 11 a u. b und 12 a u. b) oder Bügelform (Bügelkopf, Abb. 13 a u. b) hergestellt.
Die Lagerschalen L und L1 sind im Kopf durch Führungsrippen gehalten. Die Rippen umgreifen den Kuppelstangenkopf beiderseits vollständig (Abb. 7 a u. b, 8 a u. b und 11 a u. b) oder auf der Innenseite nur teilweise (Abb. 9 a u. b und 12 a u. b). Das Nachstellen der Lagerschalen erfolgt durch einen einfachen, wenig konischen Keil (Abb. 7 a u. b, 8 a u. b, 11 a u. b, und 13 a u. b) oder durch einen stark konischen kurzen Keil in Verbindung mit einer Schraube (Abb. 9 a u. b und 12 a u. b). Die Feststellung des Keiles (Sicherung gegen das Loswerden während der Fahrt) wird mit Schraube und Klemmplatte (Abb. 7 a u. b und 11 a u. b), durch Klemmschrauben mit feinem Gewinde (Abb. 8 a u. b und 13 a u. b) oder durch Kopfarretierung (Abb. 12 a u. b) bewirkt.
Offene Kuppelstangenköpfe erfordern außerdem noch einen Bügelverschluß (Abb. 11 a u. b und 13 a u. b) oder Schraubenverschluß (Abb. 12 a u. b).
In neuerer Zeit wird bei vielen Bahnen auf eine Nachstellbarkeit der Lagerschalen mit Keil verzichtet; es werden insbesondere bei großen Zapfen (geringer Auflagedruck) einfache Büchsen aus Metall angewendet, die durch lotrecht (Abb. 10 a) oder wagrecht (Abb. 10 b) angebrachte Schrauben festgelagert sind.
Das Material der Lagerschalen besteht aus Bronze (Abb. 9 a u. b und 12 a u. b) oder aus Bronze mit Weißmetallausguß (Abb. 11 a u. b und 13 a u. b). Bei Anwendung von Weißmetallausguß werden die Lagerschalen auch aus Schmiedeisen hergestellt.
Die Ölzufuhr zu den Zapfen erfolgt durch Schmiergefäße, die mit dem Kopf aus einem Stück geschmiedet sind. Über Einrichtung und Verschluß der Schmiergefäße s. Schmiergefäße.
Kuppelstangenschaft. Die auf die K. einwirkenden Kräfte: Zug, Druck und Fliehkraft, ferner die Notwendigkeit, das Gewicht der rotierenden Massen so gering als möglich zu halten, bedingen einen Querschnitt des Schafts, der bei der größten Widerstandsfähigkeit das kleinste Gewicht der Stange ergibt.
Die zuerst angewendete Form des Querschnitts, der Kreis, gelangt heute nicht mehr zur Ausführung; als Querschnittsform verwendet man heute das Rechteck (die Schmalseite nach einem Kreisbogen abgerundet, Abb. 9 a u. b) oder das Doppel- (Abb. 8 a u. b, 11 a und 12 a u. b). Der Doppel--Querschnitt wird meistens bei schnell laufenden Lokomotiven und bei langen K. ausgeführt.
Berechnung der Kuppelstange.
a) Beanspruchung auf Zug. Nach der Anzahl der gekuppelten Achsen, 2, 3 u.s.w., und nach der Lage der Triebachse (Mittelachse oder rückwärtige Achse als Triebachse) hat die K. ein Halb, ein Drittel, zwei Drittel u.s.w. des gesamten auf den Kolben wirkenden Dampfdrucks zu übertragen. Da ferner die Maximalzugkraft der Lokomotive (abgesehen von einigen Tenderlokomotiven) meistens größer ist als ein Siebentel des Adhäsionsgewichts, genügt es, die Beanspruchung der K. auf Zug nach dem auf die betreffende Stange entfallenden Anteil des Drucks auf den Kolben zu rechnen.
Bezeichnet P diese Kraft, b die Breite, h die Höhe der Stange in der Nähe des Kopfs, b1/2 die Tiefe und h1 die Höhe der Aushöhlung, wird ferner h ∾ 2 b angenommen, so besteht die Beziehung:
P = b ∙ h ∙ S für rechteckigen Querschnitt,
P = (bh – b1h1)S für Doppel--Querschnitt.
Die Beanspruchung S (in Kilogrammen pro Quadratmillimeter) soll nicht mehr als 21/2–3 kg betragen. Die nur auf Zug beanspruchten Teile des Kopfs sind, in den vollen Teilen etwa 20%, in den durch Keil und Schraubenlöcher geschwächten Teilen 30–40% stärker zu halten als der Schaft; scharfe Übergänge und kleine Hohlkehlen sind zu vermeiden.
b) Beanspruchung auf Druck (Zerknicken). Wird mit I das Widerstandsmoment in wagrechter Richtung, mit I1 das Widerstandsmoment in lotrechter Richtung, mit E der Elastizitätsmodul für Eisen, bzw. Stahl, mit l die Länge der Stange bezeichnet, so findet sich aus P und den aus b und h bestimmten Werten von I und I1
Sicherheit gegen das Knicken in lotrechter Richtung,
Sicherheit gegen das Knicken in wagrechter Richtung.
Bei richtiger Wahl von b und h (bzw. b1 und h1) wird der Wert von τ 6–8, der Wert von σ 3–5 betragen.
c) Beanspruchung durch die Fliehkraft. Abgesehen von den nahezu symmetrisch zu beiden Seiten des Zapfens angeordneten Massen der Köpfe, resultiert aus der Masse des Schafts eine Fliehkraft
G Gewicht des Schafts, ν Geschwindigkeit in Metern pro Sekunde, λ Hub in Metern; g = 9∙81.
Diese Fliehkraft, als gleichmäßig über den Schaft verteilte Belastung angesehen, gibt, wenn l die Stangenlänge ist:
für rechteckigen Querschnitt,
Die Beanspruchung S1 (in Kilogrammen pro Quadratmillimeter) kann 10–15 kg betragen.
Bei Berechnung der Beanspruchung durch Fliehkraft und der Widerstandsfähigkeit gegen Druck ist in den Widerstandsmomenten für h die größte Höhe in der Stangenmitte einzusetzen; diese Höhe ist 20–30% größer als die Höhe der Stange beim Kopf.
Für K. verwendet man Schweißeisen oder Martinstahl von 40–45 kg Festigkeit, in manchen Fällen auch Tiegelgußstahl von 55–60 kg Festigkeit.
Literatur: Vollständige Theorie der Stangenschafte s. Rouleaux, Der Konstrukteur, und Glasers Ann., 1891: Kuhn, Berechnung der Trieb- und Kuppelstangen. Ferner: Eisenbahntechnik der Gegenwart, Wiesbaden 1912, Maurice Demulin, Traité Pratique de la Machine Locomotive, Paris 1898; Modern Locomotives, published by the Railroad Gazette, New York 1901.
Gölsdorf.
http://www.zeno.org/Roell-1912. 1912–1923.