Farbenblindheit

Farbenblindheit

Farbenblindheit, Achromatopsie (colourblindness; cécité des couleurs; dyschromatopsia), das völlige oder teilweise Fehlen des normalen Farbenunterscheidungsvermögens bei erhaltenem Lichtsinn.

Die F. kann sowohl angeboren, als auch durch Krankheit entstanden sein, doch kommt der angeborenen F. bei weitem größere praktische Bedeutung zu; sie ist es, die man im allgemeinen als F. schlechtweg zu bezeichnen pflegt.

Bei der angeborenen F. fehlt die Farbenempfindung selten völlig (totale F.). In diesem Falle wird die ganze Außenwelt vom Farbenblinden nur in Abstufungen von Grau gesehen, etwa wie dem Normalen ein Stahlstich erscheint. Derartige Individuen sind leicht herauszufinden, sie haben übrigens auch stets eine herabgesetzte Sehschärfe und leiden zudem an Lichtscheu und Augenzittern. Schon aus diesem Grunde sind sie für den Eisenbahndienst von vornherein unbrauchbar.

Bei weitem häufiger ist die F. nur partiell, d.h. der Farbenblinde besitzt zwar eine Farbenempfindung und bis zu einem gewissen Grade auch eine Unterscheidungsfähigkeit für Farben, aber diese ist gegenüber der hochentwickelten des Normalen nur sehr rudimentär, denn die Außenwelt wird fast nur in zwei bunten Farben gesehen. Die verschiedenen Helligkeitsabstufungen und die verschiedenen Sättigungsnuancen (Mischung mit Weiß bzw. Grau) dieser beiden Farben sind die einzigen Differenzierungen, die den partiell Farbenblinden möglich sind. Denkt man sich die normale Empfindung zusammengesetzt aus den vier Grund- oder Urfarben: Rot, Grün, Gelb, Blau, so betreffen die beiden vom Farbenblinden gesehenen Farben immer ein Paar dieser vier. Sehr selten wird nur Rot und Grün gesehen, d.h. es fehlt die Empfindung für Blau und Gelb: Blaugelbblindheit (Akyanoxanthopsie, Erythrochloropie, Blau- oder Violettblindheit).

Fast immer wird umgekehrt nur Gelb und Blau gesehen, d.h. es fehlt die Empfindung für Rot und Grün: Rotgrünblindheit (Daltonismus, Kyanoxanthopie, Anerythrochloropie). Bei der Häufigkeit dieser Anomalie denkt man bei »F.« immer zunächst an »Rotgrünblindheit«.

Da der Rotgrünblinde die Außenwelt nur in den Abstufungen von Blau und Gelb sieht, kann er eine ganze Anzahl für jeden Normalen sehr augenfälliger Farben nicht unterscheiden, er verwechselt demnach bestimmte Farben miteinander. So wird alles, was der Normale als Rot, Orange, Gelb und Gelbgrün sieht, vom Rotgrünblinden nur in Helligkeitsabstufungen von Gelb gesehen. Bestimmte rote Lichter sehen für ihn mit bestimmten gelben oder gelbgrünen völlig gleichfarbig aus. Eine bestimmte Nuance von Blaugrün und Rosa sieht der Rotgrünblinde völlig farblos, d.h. grau. Blau und Violett werden beide blau gesehen und nicht voneinander unterschieden.

Die im Signaldienst der deutschen Eisenbahnen verwendeten Laternenfarben Rot, Rötlichgelb, Grün und Blau, zu denen noch die indifferenten »weißen« (in Wirklichkeit gelblichen) Lichter hinzukommen, sieht der Rotgrünblinde, mit der Farbenempfindung des Normalen gemessen, ungefähr folgendermaßen: Die roten, rotgelben und »weißen« (gelblichen) Lichter erscheinen ihm nur verschieden dunkel- und hellgelb, die bläulichgrünen Laternen sehen im Gegensatz zu ihnen nahezu rein weiß (mehr bläulichweiß) aus, sie können daher leicht für ein »weißes« Licht gehalten werden, wenn sie dunkel brennen oder das Wetter unsichtig ist. Blaue Lichter werden genau so sicher erkannt, wie vom Normalen. Es ist demnach unrichtig, wenn man meint, die Rotgrünblinden könnten die roten und grünen Signallaternen nicht unterscheiden, der Unterschied ist auch für den Farbenblinden unter günstigen Beobachtungsbedingungen, deutlich genug, nur daß sie sie eben nicht rot und grün, sondern gelb und weiß sehen. Schwerer ist es, beide Signalfarben von »weißen« Lichtern zu unterscheiden, zumal, wenn die Laternen verschieden hell brennen. Die Hauptgefahr, die die F. für den Dienst bildet, beginnt bei schlechter Fernsicht, bei großen Entfernungen, bei großen Lichtermengen (z.B. auf Bahnhöfen), vor allem beruht sie darauf, daß die Farbenblinden viel mehr Aufmerksamkeit für die Signalerkennung verwenden müssen, also auch ihre Spannkraft leichter erlahmen kann. Sie sind deshalb für den Fahrdienst unbrauchbar.

Im allgemeinen machen Rotgrünblinde im praktischen Leben viel weniger Fehler, als man erwarten sollte. Das liegt daran, daß sie 1. gelernt haben, bei bekannten Gegenständen mit ihren abweichenden Farbenempfindungen die Benennungen des Normalen zu verbinden; sie nennen das Gras, das sie in Wirklichkeit etwas gelblichgrau nach normalen Begriffen sehen mögen, ebenfalls grün u.s.w. 2. Sie nützen feine Sättigungs- und Helligkeitsabstufungen einer Farbe ganz anders aus als der Normale, denn sie sind natürlich auf diese kleinen Unterschiede viel mehr angewiesen. 3. Bei sehr großen Flächen haben auch Rotgrünblinde noch eine Andeutung von Rotempfindung. Die Rotgrünblinden sind stets geneigt, Farben, die ihnen gelblich erscheinen, für Rot zu halten, Farben, die sie annähernd grau sehen, für Grün.

Die Rotgrünblinden zerfallen noch in zwei Gruppen, die sich in ihrer Farbenempfindung nur unwesentlich voneinander unterscheiden: die einen sehen rote Farben viel dunkler gelb als die anderen. Die ersteren wurden früher aus theoretischen Gründen als Rotblinde, die anderen als Grünblinde bezeichnet, doch können diese Bezeichnungen Verwirrung anrichten, denn beide sind in Wirklichkeit »Rotgrünblind«. Besser bezeichnet man die erstere Form als Protanopie, die zweite als Deuteranopie (nach v. Kries).

Bei der seltenen angeborenen Blaugelbblindheit werden rote, gelbe und grüne Farben auch in feineren Nuancen gut unterschieden. Der Blaugelbblinde ist demnach auch als tauglich für den Eisenbahnfahrdienst anzusehen. Nur die Erkennung blauer Farben und Lichter wird vielleicht etwas Schwierigkeiten machen.

Unter den zahlreichen Theorien zur Erklärung der F. werden am häufigsten 2 genannt, die v. Helmholtzsche und die Heringsche Theorie. Bei der ersteren werden für den normalen Farbensinn 3 verschiedene Elemente des Sehorganes angenommen, von denen die einen Rotempfindung, die anderen Grünempfindung, die dritten Violettempfindung vermitteln sollen. Durch Kombination entsteht dann die Empfindung für die übrigen Farben. Bei den verschiedenen Formen der partiellen F. fehlt jedesmal eine dieser drei Komponenten (daher die Bezeichnungen Rot-, Grün- und Violettblindheit). Die Heringsche Theorie unterscheidet 3 paarige Sehsubstanzen: eine Rotgrün-, eine Blaugelb- und eine Schwarzweißsubstanz. Wieder entsteht durch Kombination die Empfindung für die einzelnen Farben. Mit beiden Theorien läßt sich bis auf einige Schwierigkeiten die F. erklären, so daß sich schwer von der »Berechtigung« der einen oder anderen sprechen läßt. Außerdem bestehen zahlreiche von den genannten abgeleitete Vermittlungstheorien.

Der erste Fall von F. wurde im Jahre 1777 beschrieben (Huddart). 1794 studierte Dalton an sich selbst das Sehen der Rotgrünblinden. (Die Bezeichnung Daltonismus für F. soll etwa um 1827 geprägt sein.) Wenn auch Seebeck schon 1837 systematische Untersuchungen über das Vorkommen der F. vorgenommen hat, so erlangte die Anomalie doch erst praktische Bedeutung durch den Schweden Holmgren, der darauf hinwies, daß das Eisenbahnunglück bei Lagerlunde (1875) der F. des Maschinenführers zuzuschreiben war. Übrigens hatte in den Fünfzigerjahren schon Wilsons eine regelmäßige Untersuchung auf F. bei dem Personal einer englischen Eisenbahnlinie veranlaßt.

Die Häufigkeit der Rotgrünblindheit – die anderen Formen der F. kommen wegen ihrer Seltenheit für die Statistik nicht als wesentlich in Betracht – beträgt etwa 31/4% aller Männer, bei Frauen ist sie sehr selten. Rassenunterschiede spielen bei dem Vorkommen keine Rolle (die F. kommt auch unter unzivilisierten Völkern vor). Sehr häufig ist die F. vererbt.

Die angeborene F. ist unheilbar und kann auch durch Übung nicht gebessert werden. Nur lernen Farbenblinde aus anderen Eigenschaften der Gegenstände auf ihre Farbe zu schließen. Es bessert sich also nicht die Empfindung, sondern die Beurteilung für Farben.

Erworbene F. findet sich im Verlaufe vieler Augen- und Nervenerkrankungen. Sie ist zwar ebenfalls wichtig, tritt aber an Bedeutung gegenüber der angeborenen F. zurück.

Farbenschwäche (Rotgrünschwäche, anomale Trichromasie1), die Zwischenstufe zwischen Farbenblindheit und normalem Farbensinn. Die Farbenschwachen haben ebenfalls eine herabgesetzte Unterscheidungsfähigkeit für Farben, aber nicht so stark wie die Farbenblinden. Charakteristisch ist folgendes Verhalten der Farbenschwachen: Sie brauchen längere Zeit zum Erkennen der Farben, ein Moment, das gerade für den Eisenbahndienst von Wichtigkeit ist; die Farbenschwachen erkennen Lichter erst, wenn diese eine bestimmte Größe haben, also z.B. nicht auf weite Entfernungen. Die Farben dürfen auch nicht zu blaß oder dunkel sein (Schatten, Nebel!), wenn sie erkannt werden sollen. Farbenschwache ermüden leichter bei der Beurteilung der Farben, auch wird ihr Urteil sehr durch die Helligkeit der farbigen Lichter beeinflußt und zu oft getäuscht.

Sehr wichtig ist endlich, daß Farbenschwache geneigt sind, weiße oder gelbe Lichter neben roten für grüne zu halten (gesteigerter Farbenkontrast). Ganz allgemein kann man sagen, daß sich die Farbenschwachen unter günstigen Beobachtungsbedingungen fast wie Normale verhalten können, unter ungünstigen Beobachtungsbedingungen, wie sie gerade im Eisenbahnfahrdienst häufig sind, aber ebenso gefährlich sein können wie die Farbenblinden. Sie sind daher für den Fahrdienst ebenfalls nicht tauglich.

Ähnlich wie die Rotgrünblindheit (s.d.) in 2 Untergruppen zerfällt (Protanopie und Deuteranopie), zerfällt die Farbenschwäche in 2 Gruppen, die Protanomalie und Deuteranomalie (schlechter Rot- und Grünschwäche).

Die Häufigkeit der Farbenschwäche ist mindestens ebenso groß wie die der F.; Farbenschwäche und F. werden zusammengefaßt als Farbenuntüchtigkeit. Demnach sind mindestens 8% der männlichen Bevölkerung wegen angeborener Farbenuntüchtigkeit für den Eisenbahnfahrdienst unbrauchbar.

Es gibt leichte Formen von Farbenschwäche, die dem normalen Farbensinn sehr nahe stehen und schwerere Grade, die sich nur wenig von der F. unterscheiden, mit anderen Worten, Übergänge vom normalen Farbensinn zur F.

Auf die Bedeutung der Farbenschwachen für den Eisenbahndienst hat vor allem Nagel hingewiesen. Auf sein Betreiben hin wurde vor einigen Jahren eine schärfere Farbensinnprüfung für die Anwärter eingeführt. Neuere Untersuchungen auf diesem Gebiete liegen hauptsächlich von Guttmann, Rosmanit und Köllner vor.

Die Untersuchung der Anwärter auf angeborene Farbenschwäche erfolgt gleichzeitig mit der Untersuchung auf F., d.h. es wird untersucht, ob »Farbenuntüchtigkeit« vorliegt oder »Farbentüchtigkeit«. Die Prüfung muß so erfolgen, daß die Farbenblinden die ihnen vorgezeigten Farben nicht zu benennen brauchen, da sie ja gelernt haben, mit ihren abweichenden Empfindungen die Bezeichnungen des Normalen zu verbinden; sie können daher auch eine vorgehaltene rote Farbe einmal rot nennen, obwohl sie sie gar nicht nach unseren Begriffen rot sehen. Entweder werden aus einer größeren Zahl farbiger Proben bestimmte herausgesucht (Wahlproben), oder es werden mehrere (meist 2) derjenigen Farben, die die Farbenuntüchtigen zu verwechseln pflegen, gleichzeitig dargeboten (sog. pseudoisochromatische Proben, farbige »Gleichungen«).

Um auch die Farbenschwachen herauszufinden, ist es ferner notwendig, bei der Untersuchung nicht zu große Farbenfelder zu benutzen, da sich ja bei großen farbigen Flächen die Farbenschwachen ähnlich wie die Normalen verhalten.

Die empfohlenen Methoden sind sehr zahlreich, bieten aber nicht immer eine Gewähr für eine sichere Trennung von Farbentüchtigen und -Untüchtigen. Unter den Wahlproben sind die bekanntesten die Holmgrenschen Wollproben mit einer Sammlung verschiedenfarbiger Wollbündel. Mit ihrer Hilfe kann man bei richtiger Anwendung zwar Farbenuntüchtige meist erkennen, doch haftet dieser Prüfung eine gewisse Unsicherheit an. Aus diesem Grunde ist sie für die Untersuchung der Anwärter für den Eisenbahnfahrdienst mit Recht als ungeeignet bezeichnet worden.

Die zurzeit mehr angewendeten, weil zuverlässigeren »pseudoisochromatischen« Proben werden vor allem durch die Stillingschen und Nagelschen Tafeln repräsentiert. Bei den ersteren befinden sich aus farbigen Tüpfeln zusammengesetzte Zahlen auf andersfarbigem Grunde, auf letzteren Tafeln befinden sich Kreise aus verschiedenfarbigen Punkten. Ferner sind mehrfach Lampen mit mehreren entsprechend gefärbten Gläsern hergestellt worden, die ebenfalls z. T. recht brauchbar sind (z.B. Nagels Dreilichterapparat). Noch zuverlässiger sind Spektralapparate, bei denen der Beobachter gleichzeitig zwei bestimmte Spektralfarben nebeneinander erblickt. Am empfehlenswertesten ist das jetzt bei den deutschen Bahnverwaltungen größtenteils eingeführte Anomaloskop.2


Die Einführung einer obligatorischen Untersuchung der Anwärter für den Eisenbahndienst auf Farbentüchtigkeit ist ein notwendiges Gebot der Betriebssicherung; sie begann in den Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts.

So hatte sich unter andern auch die Technikerversammlung von Stuttgart (1878) über die Frage: Ist es dringendes Bedürfnis, die Untersuchung der Betriebsbeamten auf F. vorzunehmen, wie folgt ausgesprochen: Auf Grund des Ergebnisses der über diese Frage eingelangten Äußerungen wurde die Schlußfolgerung aufgestellt, daß eine Untersuchung auf die richtige Unterscheidung der drei in der Signalordnung vorgeschriebenen Farbensignale bei allen notwendig sei, deren Dienstobliegenheiten das richtige Erkennen der Signale bedingt.

In den meisten Staaten wurde dementsprechend im Gesetz- oder Verordnungsweg den Bahnverwaltungen zur Pflicht gemacht, die Prüfungen ihrer Bediensteten auf F. vorzunehmen.

In Deutschland – Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 8. März 1906 – müssen die Eisenbahnbetriebs- und Polizeibeamten ein ausreichendes Seh- und Farbenunterscheidungsvermögen besitzen.

Für Preußen enthalten die Vorschriften über die Feststellung der körperlichen Tauglichkeit für den Eisenbahndienst (gültig vom 1. Januar 1909) Bestimmungen über die Feststellung der Farbentüchtigkeit.

Diese erfolgt durch die Bahnärzte – bei Ausstellung von Genesungszeugnissen für Hilfsbedienstete und Arbeiter durch die Bahnkassenärzte – mittels Farbtafeln, die nach den Professor Nagelschen Regeln hergestellt sind und amtlich geliefert werden.

Für das bei Feststellung zu beobachtende Verfahren ist die »Anweisung zur Prüfung des Farbenunterscheidungsvermögens« maßgebend.

Die Untersuchung ist bei guter Tagesbeleuchtung und sauberer Beschaffenheit der Tafeln vorzunehmen. Sie hat sich gleichzeitig auf beide Augen zu erstrecken. Die Bahn- und Bahnkassenärzte müssen selbst auf Farbentüchtigkeit untersucht und über ihr Farbenunterscheidungsvermögen unterrichtet sein.

Wenn der Bahnarzt im Zweifel ist, ob der Untersuchte farbentüchtig ist, hat er der Eisenbahndirektion zu berichten, die die Einholung eines Obergutachtens (Untersuchung mit dem Nagelschen Anomaloskop) veranlaßt. Für die Bahnaugenärzte ist – zunächst für den Bereich der preußisch-hessischen Staatseisenbahnen – eine »Anleitung zur Prüfung des Farbenunterscheidungsvermögens« von Köllner seit 1913 amtlich eingeführt.

Von 5 zu 5 Jahren ist eine Wiederholungsprüfung durchzuführen. Ergibt diese Farbenuntüchtigkeit, so sind die Bediensteten mit Ausnahme der Werkmeister und Werkführer aus den bisher wahrgenommenen Dienststellungen zu entfernen und auch nicht aushilfsweise in ihnen wieder zu verwenden und bei sonst vorhandener Befähigung in solchen Stellungen zu beschäftigen, in denen Farbenuntüchtigkeit unschädlich ist.

Durch Erlasse des preuß. Eisenbahnministers i. J. 1912 u. 1913 wurden die Eisenbahndirektionen angewiesen, zur Gewinnung von Vergleichen, durch einzelne Bahnärzte die Untersuchung auch mit der neuen Auflage der Stillingschen pseudoisochromatischen Tafeln vorzunehmen.

In Österreich wurde 1876 in die Grundzüge der Verkehrsvorschriften Art. 1 die Bestimmung aufgenommen, daß Personen, die wegen F. zur Wahrnehmung der Signale ungeeignet sind, zum äußeren Dienst nicht in Verwendung genommen werden dürfen; außerdem wurden die österreichischen Bahnverwaltungen aufgefordert, die Bediensteten vor der Aufnahme für den äußeren Dienst nach der Methode Holmgrens, bzw. in zweifelhaften Fällen, und wo ein Vorschützen von F. zu vermuten ist, nach einer eingehenderen Methode untersuchen zu lassen und diese Prüfung auch periodisch und insbesondere nach Krankheiten und Kontusionen des Kopfs zu wiederholen.

Nach der Sanitätsinstruktion für die österreichischen Staatsbahnen ist die Prüfung des Farbenunterscheidungsvermögens nur binokulär und bei günstiger Beleuchtung vorzunehmen, wobei zwei Methoden anzuwenden sind, nämlich die Prüfung mit pseudoisochromatischen Tafeln (Stilling, Nagel) und die Prüfung mit Holmgrenschen Wollbündeln.

Wird beim Bahnarzte nur der geringste Verdacht rege, daß ein Aufnahmswerber oder ein Bediensteter nicht durchaus farbentüchtig ist, so hat er ihn unbedingt zur Überprüfung an den Chefarzt zu weisen, der die Überprüfung stets auch noch mittels des Anomaloskops nach Prof. Nagel vorzunehmen hat.

Normales Farbenunterscheidungsvermögen ist jedoch nur bei den Aufnahmswerbern nötig, die für den eigentlichen Exekutivdienst in Aussicht genommen sind.

Die sonst nötigen Wiederholungsuntersuchungen der Bediensteten können hinsichtlich des Farbenunterscheidungsvermögens entfallen, wenn bereits drei Untersuchungen normalen Farbensinn ergeben haben.

Wenn Bedienstete des äußeren Betriebsdienstes im Verdachte einer Herabsetzung des Farbenunterscheidungsvermögens stehen, so ist eine Feststellung der Fortdauer der körperlichen Eignung vorzunehmen.

Die Bediensteten sind verpflichtet, an sich selbst oder an anderen Bediensteten wahrgenommene Farbensinnstörungen den Vorgesetzten zur Kenntnis zu bringen.

Für die belgischen Staatsbahnen enthält das Regl. d'administration générale et du personnel Bestimmungen über die Prüfung des Personals bei der Aufnahme. Diese Prüfung erfolgt nach der Methode Holmgrens mit Wollfäden.

In Frankreich sind nach einer Regierungsvorschrift vom Jahr 1880 die Bewerber um solche Dienstposten, die eine richtige Beurteilung der Farben erheischen, einer Prüfung auf F. unterworfen, u.zw. meist nach der Holmgrenschen Methode. Die Prüfung wird nach schweren Krankheiten und auch periodisch erneuert. Ebenso werden dieser Prüfung Bedienstete unterzogen, die auf einem Posten verwendet waren, der den Besitz des richtigen Farbensinns nicht erheischt, bei Übernahme eines Postens, auf dem dieser Farbensinn unerläßlich ist.

Bei den italienischen Eisenbahnen ist für Funktionen des Signaldienstes oder solcher, bei denen die Sicherheit des Zugverkehrs in Frage kommt, normaler Farbensinn für Rot und Grün auf beiden Augen vorgeschrieben.


Es ist mehrfach angeregt worden, statt aller vorbesprochenen Methoden eine praktische Prüfung auf offener Strecke auf einer fahrenden Maschine vorzunehmen. Jedoch kann das Bestehen einer derartigen Untersuchung schon deswegen nicht als maßgebend für die Farbentüchtigkeit angesehen werden, weil der zu Prüfende seine Aufmerksamkeit bei der kurzen Prüfung in einem viel höheren Grade konzentrieren kann, als es ihm später im Dienst möglich ist. Aber gerade dieses Moment spielt bei Farbenschwachen eine große Rolle für die Erkennung der Farben (s.o.), dazu kommt noch der bei einer Probefahrt nicht immer nachzuahmende Einfluß schlechter Fernsicht u.s.w.


Zur Verhütung der Folgen der F. wurde vorgeschlagen, statt Rot und Grün Blau und Gelb als Signalfarben zu wählen, oder gar Weiß und Schwarz, des weiteren den Signalen nach Form und Anzahl eine Bedeutung zu geben, ohne ihre Farbe zu berücksichtigen.

Diese Vorschläge erscheinen nicht durchführbar. Die Farben Blau und Gelb sind bei künstlicher Beleuchtung als ausschließliche Signalfarben nicht geeignet, da ein gelbes Licht sich von einer künstlichen Lichtquelle, die hauptsächlich gelbe Lichtstrahlen erhält, wenig unterscheidet und ein blaues Glas nicht die erforderliche Helligkeit besitzt (weil das künstliche Licht zu wenig blaue Lichtstrahlen hat). Ebensowenig ginge es an, Schwarz und Weiß als Signalfarben zu verwenden oder Signale ohne Farbenunterscheidung zu wählen. Rot und Grün erscheinen als die besten Signalfarben, namentlich bei künstlicher Beleuchtung, daher kann von ihrer Anwendung kaum abgesehen werden.

Literatur: Ältere Arbeiten: Holmgren, Die F. in ihren Beziehungen zu den Eisenbahnen und der Marine (deutsch, Leipzig 1877). – Magnus, Die F., ihr Wesen und ihre Bedeutung. Breslau 1878. – Stilling, Die Prüfung der F. beim Eisenbahn- und Marinepersonal. II. Aufl. Kassel 1878. – Gintl, Über den Farbensinn und dessen Einfluß auf die Verkehrssicherheit der Eisenbahnen. Wien 1878. – Daae, Die F. und deren Erkennung (aus dem Norwegischen). Berlin 1878. – Dor, Echelle pour mesurer l'acuité de la vision chromatique. Paris und Lyon 1878. – Cohn, Studien über angeborne F. Breslau 1879. – Mauthner, Farbenlehre. Wiesbaden 1894. – Uhthoff, Dammers Handwörterbuch der öffentlichen und privaten Gesundheitslehre. Stuttgart 1889–1891 (s. daselbst auch Journalliteratur über F.). Neuere Arbeiten, mit bes. Berücksichtigung der Farbenschwäche: Nagel, Versuche mit Eisenbahnsignallichtern u.s.w. Ztschr. f. Sinnesphysiol. Bd. 41, 1907; ferner Einführung in die Kenntnis der F. Wiesbaden 1908. – Guttmann, Untersuchungen über F. Ztschr. f. Sinnesphysiol. Bd. 44, 1907. – Rosmanit, Zur Farbensinnprüfung im Eisenbahn- und Marinedienst. Wien 1907. – Köllner, Die Störungen des Farbensinnes. Berlin 1912 (s. daselbst neuere Literatur sowie Ausführliches über erworbene Farbensinnstörungen). – Eine Zusammenstellung von Betriebsunfällen infolge Farbenuntüchtigkeit s. Nagel, Berl. Ophth. Ges. 1907.

Köllner.

1

Anomale Trichromasie und Farbenschwäche sind ursprünglich nicht identisch. Erstere stellt eigentlich nur einen bestimmten Spezialfall der Farbensinnanomalien vor.

2

Geliefert von Schmidt und Haensch, Berlin.


http://www.zeno.org/Roell-1912. 1912–1923.

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