- Verein deutscher Eisenbahnverwaltungen (VDEV.)
Verein deutscher Eisenbahnverwaltungen (VDEV.).
Inhalt: I. Gründung, Entwicklung und Verfassung. – II. Wirksamkeit und Einrichtungen des V.
I. Gründung, Entwicklung und Verfassung des V.
Am 10. November 1846 gründeten die zehn größten preußischen Privatbahngesellschaften einen »Verband der preußischen Eisenbahndirektionen« zu dem Zweck, »die Bestrebungen der Eisenbahnverwaltungen durch Einmütigkeit zu fördern und damit ebensosehr den eigenen Interessen als denen des Publikums zu dienen«.
Schon ein halbes Jahr nach seiner Gründung dehnte sich der Verband auf alle in Deutschland, d.h. im Gebiet des damaligen deutschen Bundes ansässigen Eisenbahnverwaltungen aus; in der Verbandsversammlung vom 29. November bis 2. Dezember 1847 erhielt er seinen heutigen Namen »Verein deutscher Eisenbahnverwaltungen«. Im Jahre 1850 gehörten ihm bereits 48 (44 deutsche und 4 österreichische und ungarische) Verwaltungen mit einer Betriebslänge von 6868 km an.
Die Verfassung des V. war zunächst äußerst einfach und blieb in ihren wesentlichen Bestimmungen lange Zeit die gleiche. Gemäß dem Vereinszweck, »durch gemeinsame Beratungen und einmütiges Handeln das eigene Interesse und dasjenige des Publikums zu fördern«, umfaßte das Arbeitsgebiet alle Gegenstände, die von einer Eisenbahnverwaltung zur Beratung innerhalb des V. für geeignet erachtet wurden. Die Leitung und Führung der Vereinsgeschäfte lag in der Hand der »geschäftsführenden Direktion«, die Beschlüsse wurden im allgemeinen durch »ad hoc« eingesetzte Ausschüsse vorbereitet und von der Generalversammlung (später Vereinsversammlung genannt), welche die Gesamtheit des V. ausschließlich vertrat, gefaßt, u. zw. nach Stimmenmehrheit auf Grund eines im Jahre 1851 beschlossenen, nach Betriebslängen abgestuften Stimmrechts. Die Vereinsbeschlüsse wurden jedoch für die Vereinsverwaltungen erst dann bindend, wenn sie von ihnen innerhalb einer bestimmten Erklärungsfrist ausdrücklich angenommen waren.
Im wesentlichen unter dieser Verfassung hatte sich der V. in Verbindung mit der im Zuge der Zeit liegenden umfangreichen Ausgestaltung des Eisenbahnnetzes nicht nur in seinem äußeren Umfang außerordentlich entwickelt, sondern auch allenthalben eine umfassende Tätigkeit in der Richtung einheitlicher Gestaltung der technischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Einrichtungen der Eisenbahnen entfaltet.
Im Juli 1870 zählte der V. 77 Eisenbahnverwaltungen zu seinen Mitgliedern mit einer Betriebslänge von 29.479 km. Die politischen Ereignisse von 1866 und 1871 haben auf den Umfang des V. keinen besonderen Einfluß ausgeübt, wennschon schließlich nach Gründung des Deutschen Reiches eine andere Umschreibung des Vereinsgebiets erforderlich wurde. Dieses umfaßte fortan unter Berücksichtigung einiger späterer Ergänzungen das Deutsche Reich, die österreichisch-ungarische Monarchie, das Königreich der Niederlande, das Großherzogtum Luxemburg (und das inzwischen wieder ausgeschiedene Königreich Rumänien) als sog. engeres Vereinsgebiet, während Eisenbahnverwaltungen, die mit ihren Strecken außerhalb dieses Gebiets liegen, das weitere Vereinsgebiet bilden. Aus nachfolgender Zusammenstellung ist die Entwicklung des Vereinsnetzes in der Zeit von 1880–1914 zu ersehen.
Statistik über die Entwicklung des Vereinsnetzes.
Anmerkung: Die in () stehenden Zahlen sind die Angaben für die dem Verein angeschlossenen Bahnen;
Die in [] stehenden Zahlen sind die Angaben für die Vereinsmitglieder einschließlich der dem Verein angeschlossenen Bahnen.
Infolge des Weltkriegs hat das Vereinsnetz, das 1916 seinen Höchststand von 111.500 km erreicht hatte, eine einschneidende Schmälerung erfahren und umfaßte 1920 nur noch 76.500 km. Wie weit die durch die Friedensverträge vom Deutschen Reich sowie von Österreich und Ungarn abgetrennten, an Frankreich, Belgien und Polen, an die Tschecho-Slowakei, Jugoslawien und Rumänien übergegangenen Bahnlinien dem Vereine wieder beitreten oder andere, bisher dem Vereine ferngestandene Bahngruppen sich diesem anschließen werden, steht noch dahin. Es steht indessen zu hoffen, daß die in jahrzehntelanger Arbeit geschaffenen Einrichtungen nicht nur bestehen bleiben, sondern fortgebildet und auf weitere Kreise ausgedehnt werden, nachdem sich schließlich das Bedürfnis durchsetzen muß, den internationalen Eisenbahnverkehr und das internationale Wirtschaftsleben auf ähnlichen Grundlagen, wie sich selbe im Verein in mustergültiger Weise herausgebildet haben, zu fördern.
Durch die vorausgegangene politische Umgestaltung in den Jahren 1866 und 1871 hat der Verein an seinem Arbeitsgebiet nur insofern eine Einbuße erlitten, als die beiden Großstaaten Deutschland und Österreich-Ungarn dazu übergingen, die Weiterbildung des Frachtrechts sowie der technischen Vorschriften über Bau und Betrieb der Eisenbahnen, freilich auf der Grundlage der vom V. bisher geschaffenen Bestimmungen, ihrer eigenen gesetzgeberischen Tätigkeit zu unterwerfen. Das nächste Jahrzehnt brachte für die Verfassung des V. einschneidende Änderungen. Sie betreffen in der Hauptsache
a) die Rechtsgültigkeit der Vereinsbeschlüsse,
b) die Erweiterung der Befugnisse der Ausschüsse und der geschäftsführenden Verwaltung,
c) die Erschwerung der Bedingungen für den Erwerb der Mitgliedschaft sowie die Zulassung von Verwaltungen ohne Stimmberechtigung zur Teilnahme an den Vereinseinrichtungen.
Zu a. Die Bindung der Gültigkeit der Vereinsbeschlüsse an die Einstimmigkeit aller, auch der kleinsten Verwaltungen, g.f. ihre beschränkte Gültigkeit im Gebiet einzelner Verwaltungen war mit der Zeit unhaltbar geworden, wenn die Einheitlichkeit im Vereinsgebiet gewahrt bleiben und weiterhin die Zwecke des V. erreicht werden sollten. 1875 wurde festgesetzt, daß die Vereinsbeschlüsse für alle Vereinsverwaltungen rechtsverbindliche Geltung dann erlangen sollen, wenn ihnen nicht binnen einer achtwöchigen, jetzt vierwöchigen Frist von mindestens 1/10 sämtlicher den Vereinsmitgliedern zustehenden Stimmen widersprochen wird. Beschlüsse in Tarifangelegenheiten unterliegen überdies der Genehmigung sämtlicher Vereinsmitglieder.
Zu b. Bei dem stetig zunehmenden Umfang der Vereinsgeschäfte sah man sich ferner genötigt, auf Entlastung der Vereinsversammlung Bedacht zu nehmen und gewisse Angelegenheiten den Ausschüssen zur Beschlußfassung zu übertragen. Die Ausschüsse, deren Aufgabe bisher ausschließlich in der Vorbereitung der Vereinsversammlungsbeschlüsse bestand, wurden hiermit (1875) beschließende Organe des Vereinsrechtes. Für jedes wichtigere Arbeitsgebiet wurde ein ständiger Ausschuß eingesetzt (S. 96). Die Beschlüsse der ständigen Ausschüsse sind je nach der von der Generalversammlung erteilten Ermächtigung endgültige, d.h. sie treten sofort in Kraft, oder sie unterliegen einer nachträglichen Abstimmung unter den Vereinsverwaltungen wie die Vereinsversammlungsbeschlüsse. Schließlich erhielten die ständigen Ausschüsse später allgemein das Recht, Rechtsstreitigkeiten unter den Vereinsverwaltungen schiedsgerichtlich zu entscheiden, sowie die Befugnis, über die Auslegung der in ihren Wirkungskreis fallenden Vereinsvorschriften Beschluß zu fassen. Zu gleicher Zeit erhielt auch die geschäftsführende Verwaltung erweiterte Befugnisse und in verschiedenen Angelegenheiten völlige Selbständigkeit, ferner das Vorschlagsrecht für die Bildung der ständigen Ausschüsse und das Recht der Überwachung der Ausführung der Vereinsversammlungs- und Ausschußbeschlüsse u.a.m. Zur Erledigung der vermehrten, mit der Vereinsleitung verbundenen Geschäfte fand eine Erweiterung des Vereinsbureaus statt, dessen Leitung einem Generalsekretär übertragen wurde. Gleichzeitig wurde auch die Amtsdauer der geschäftsführenden Verwaltung von 2 auf 3 Jahre (später, 1887, auf 4 Jahre) ausgedehnt. Ein tatsächlicher Wechsel der geschäftsführenden Verwaltung war jedoch mit dem Ablauf der Amtsdauer nur selten verbunden. Das Amt beruhte von 1854 an bei der Berlin-Anhaltischen Eisenbahngesellschaft bis zu deren Verstaatlichung im Jahre 1882. Es ging dann 1884 auf die königliche Eisenbahndirektion Berlin über, bei der es ohne Unterbrechung bis zur Gegenwart verblieben ist.
Zu c. Schließlich ist noch der bereits 1867 begonnenen Erschwerung in der Erwerbung der Mitgliedschaft und der Vereinsverwaltungen ohne Stimmrecht zu gedenken. Stand die Mitgliedschaft bis dahin allen Eisenbahnverwaltungen offen, die in dem eingangs erwähnten Gebiet ihren Sitz hatten und sich den zur Zeit ihres Aufnahmeantrags bestehenden Vereinsbeschlüssen unterwarfen, so veranlaßte der Beitritt zahlreicher kleinerer Bahnen die Vereinsversammlung von 1867, weitere Aufnahmebedingungen festzusetzen, um zu verhindern, daß etwa die kleineren Bahnen mit überwiegend örtlichen Interessen einen unverhältnismäßigen Einfluß im Verein erlangen und durch ihr Einspruchsrecht gegen die Vereinsbeschlüsse zu einem Hindernis für die gleichmäßige Entwicklung der Vereinseinrichtungen werden könnten.
Als neue Mitglieder können a) Eisenbahnverwaltungen aus dem engeren Vereinsgebiet (Deutschland, Österreich-Ungarn, die Niederlande und Luxemburg), b) ausnahmsweise auch andere Eisenbahnverwaltungen aufgenommen werden. Als Eisenbahnverwaltungen in diesem Sinne gelten die mit der Leitung des Betriebs beauftragten Verwaltungsstellen (staatliche Behörden oder Vorstände von Eisenbahngesellschaften, Kreis- oder Gemeindevertretungen und Einzelpersonen). Die Mitgliedschaft erstreckt sich ohne Berücksichtigung des Eigentumsverhältnisses auf alle unter eigener Betriebsleitung dieser Verwaltungsstellen stehenden Bahnen, die als Vereinsbahnstrecken anerkannt werden. Voraussetzung für den Erwerb der Mitgliedschaft ist, daß die in dem Betrieb der aufzunehmenden Verwaltung stehenden vollspurigen Bahnstrecken mindestens eine zusammenhängende Länge von 100 km haben und 1. dem öffentlichen Personen- und Güterverkehr dienen, 2. mit Dampf- oder elektrischer Kraft betrieben werden und 3. an eine Vereinsbahn unmittelbar oder mittels Fähre derart anschließen, daß Wagen unmittelbar übergehen können. Ferner ist die Unterwerfung unter die zurzeit geltenden Vereinsbeschlüsse Bedingung. Über die Aufnahme von Bahnen aus dem (engeren) Vereinsgebiet beschließt der »Ausschuß für die Vereinssatzungen und allgemeine Verwaltungsangelegenheiten«, von anderen Bahnen die Vereinsversammlung.
Von Mitgliedern neu in Betrieb genommene Strecken werden auf Antrag von der geschäftsführenden Verwaltung den Vereinsbahnstrecken zugerechnet, wenn sie die vorstehend für die Aufnahme neuer Mitglieder genannten Bedingungen zu 2 und 3 erfüllen und mindestens dem öffentlichen Personenverkehr oder dem öffentlichen Güterverkehr dienen; für die Zurechnung von anderen Bahnstrecken, die diesen Voraussetzungen nicht entsprechen (namentlich z.B. Schmalspurbahnen), findet im allgemeinen das für die Aufnahme neuer Mitglieder vorgesehene Verfahren Anwendung.
Für Bahnen, die wegen zu geringer Bahnlänge und in Ermanglung der vollen Spurweite ihrer Linien dem Verein nicht als Mitglieder angehören können, ist der Anschluß an den Verein und die Teilnahme an den Vereinseinrichtungen – ohne Einräumung des Stimmrechtes – möglich, wenn sie den oben genannten Bedingungen unter 1–3 entsprechen und sich den geltenden Vereinsbestimmungen unterwerfen. Hinsichtlich des Vereinswagenübereinkommens kann hierbei bedungen werden, daß der Wagenpark der antragstellenden Verwaltung als Teil des Wagenparks, ihre Strecken als Teile des Bezirks einer anschließenden Verwaltung nach Vereinbarung mit der letzteren behandelt werden. Die Entscheidung über einen solchen Antrag erfolgt ebenso wie für die Aufnahme neuer Mitglieder. Im übrigen ist die Anwendung einzelner Vereinseinrichtungen im Verkehr mit vereinsfremden Bahnen nur insoweit zulässig, als dies – wie z.B. im sog. Vereinsreiseverkehr – durch Vereinsbeschluß ausdrücklich zugelassen ist.
Zur Leitung der Vereinsgeschäfte wird von der Vereinsversammlung eine geschäftsführende Verwaltung auf je 4 Jahre gewählt, deren Aufgabe es ist, alle laufenden Verwaltungsgeschäfte des Vereins zu erledigen, die eingehenden Anträge ihrer satzungsgemäßen Behandlung zuzuführen, die Vereinsversammlungen vorzubereiten, zu berufen und zu leiten. Außerdem sind ihr eine Reihe besonderer Aufgaben zur selbständigen Erledigung übertragen. Sie hat u.a. in gewissen Fällen den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Vereinsbeschlüsse festzusetzen und die Ausführung dieser Beschlüsse durch die Vereinsverwaltungen zu überwachen. Zur Besorgung der Vereinsgeschäfte besteht unter der Leitung der geschäftsführenden Verwaltung ein besonderes Bureau, dessen Beamte als Vereinsbeamte angestellt und aus Vereinsmitteln besoldet werden.
Zur Bestreitung der aus der Geschäftsführung und aus den besonderen Einrichtungen des Vereins entstehenden Kosten ist eine Vereinskasse gebildet. Zu dieser haben die Vereinsmitglieder und die an den Verein angeschlossenen Verwaltungen, »so oft es das Bedürfnis erfordert«, also in nicht genau abgegrenzten Zeitabschnitten, Beiträge zu leisten, deren Höhe – neben einem Grundbetrage – nach der Betriebslänge ihrer Vereinsbahnstrecken bemessen wird. Der Grundbetrag ist für Vereinsmitglieder auf 200 M., für angeschlossene Verwaltungen auf 50 M., der kilometrische Beitrag für alle Vereinsverwaltungen auf 1 M. festgesetzt. Für die Gewährung von Ruhegehältern, Witwen- und Waisengeldern an Vereinsbeamte und deren Hinterbliebene ist außerdem eine besondere Versorgungskasse eingerichtet, die aus einmaligen Beiträgen der neu aufgenommenen Verwaltungen oder für neu zugerechnete Vereinsbahnstrecken sowie aus regelmäßigen Zuschüssen aus der Vereinskasse gespeist wird.
Das Arbeitsgebiet des Vereins ist in den Satzungen nicht begrenzt, seiner Beratung unterliegen alle Angelegenheiten, die von einer Vereinsverwaltung mit einem Antrage, der an die geschäftsführende Verwaltung zu richten ist, vorgelegt werden.
Die Beschlußfassung erfolgt, soweit nicht eine anderweitige Erledigung durch Ausschüsse (s.u.) vorgesehen ist, durch die Vereinsversammlung, die alle 2 Jahre zusammentritt. Aus besonderen Gründen können auch außerordentliche Vereinsversammlungen einberufen werden. Die Unterlage für die Verhandlungen in der Vereinsversammlung bilden die schriftlich abzufassenden Ausschußberichte. Die Beschlüsse werden mit Stimmenmehrheit gefaßt. Bei Stimmengleichheit gilt der Antrag als abgelehnt. Jedes Mitglied führt bei einer Gesamtlänge der seiner Betriebsleitung unterstellten Vereinsbahnstrecken bis zu 100 km 1 Stimme, über 100 bis 250 km 2 Stimmen, über 250 bis 500 km 3 Stimmen und für je angefangene weitere 250 km 1 Stimme mehr. Demnach standen z.B. im Jahre 1917 den deutschen Bahnen 303, den österreichischen, ungarischen und bosnisch-herzegowinischen 197, den niederländischen und luxemburgischen Bahnen 24 Stimmen zu.
Die Beschlüsse der Vereinsversammlung werden durch Vorberatung in Ausschüssen vorbereitet. Für alle wichtigen Angelegenheiten bestehen ständige Ausschüsse, u. zw. zurzeit folgende:
I. Der Ausschuß für die Vereinssatzungen und allgemeine Verwaltungsangelegenheiten (Satzungsausschuß),
II. der Ausschuß für Angelegenheiten des Personenverkehrs (Personenverkehrsausschuß),
III. der Ausschuß für Angelegenheiten des Güterverkehrs (Güterverkehrsausschuß),
IV. der Ausschuß für Angelegenheiten der gegenseitigen Wagenbenutzung (Wagenausschuß),
V. der Ausschuß für technische Angelegenheiten (technischer Ausschuß),
VI. der Preisausschuß.
Im Bedarfsfall können besondere oder gemischte Ausschüsse gebildet werden.
Eine Besonderheit bildet die Technikerversammlung (s.d.), die an der Begutachtung und Bearbeitung aller wichtigen technischen Fragen mitwirkt und die als erweiterter technischer Ausschuß anzusehen ist. Sie wird im Bedarfsfall berufen. Sämtliche Vereinsverwaltungen sind berechtigt, durch einen oder mehrere Abgeordnete an der Technikerversammlung teilzunehmen. Über die Berufung dieser Versammlung und über deren Beratungsgegenstände entscheidet – falls dies nicht von der Vereinsversammlung geschieht – der technische Ausschuß im Einvernehmen mit der geschäftsführenden Verwaltung. Für die Geschäftsführung der Technikerversammlung gelten im übrigen die gleichen Bedingungen wie für die ständigen Ausschüsse.
Der Austritt aus dem V. steht jedem Mitglied und jeder angeschlossenen Verwaltung nach sechsmonatlicher Kündigung an jedem Vierteljahrsersten frei. In gewissen Fällen kann auch das Erlöschen einer Mitgliedschaft und die Ausschließung aus dem V. in besonderem Verfahren bewirkt werden.
II. Wirksamkeit und Einrichtungen des V.
Die Gründung des V. fiel in eine Zeit, als die im Gebiet des damaligen deutschen Bundes vorhandenen Bruchstücke von Eisenbahnen anfingen, Anschluß aneinander zu suchen, als ihre Ausgestaltung zu einem großen zusammenhängenden Eisenbahnnetz eben erst einsetzte. Außer gleicher Spurweite zeigten die Bahnen in ihrer Anlage und in ihren technischen Einrichtungen nur wenig Einheitlichkeit. Noch größere Verschiedenheiten wiesen die Verkehrseinrichtungen der einzelnen Bahnen auf. Es ist das hohe, bleibende Verdienst des V., sofort mit Weitblick das Ziel möglichster Einheit des gesamten Eisenbahnwesens ins Auge gefaßt und kraftvoll verfolgt zu haben. Ihm ist es zu danken, daß für die Eisenbahnen der mitteleuropäischen Staaten trotz der damaligen politischen Zerrissenheit einheitliche technische Einrichtungen geschaffen und gleichmäßig vervollkommnet, überhaupt alle Einrichtungen ins Leben gerufen wurden, die einen durchgehenden Eisenbahnverkehr wie in einem einheitlich verwalteten und betriebenen Bahnnetz ermöglichten. In einmütigem Zusammenwirken hauptsächlich der deutschen, österreichischen und ungarischen Verwaltungen haben die im V. zusammengeschlossenen Eisenbahnen auf dem Wege freier Vereinbarungen einen hohen Grad der Vervollkommnung und Vereinheitlichung des Eisenbahnwesens für Mitteleuropa erreicht, eine Einheit, deren gewaltige wirtschaftliche und politische Bedeutung heute klarer denn je erkannt wird.
Auf dem Gebiet der Technik waren die schon 1850 durch die Technikerversammlung ausgearbeiteten »Grundzüge für die Gestaltung der Eisenbahnen Deutschlands« von grundlegender Bedeutung. Sie enthielten eine Zusammenstellung der Regeln für Unter- und Oberbau, Bahnhofsanlagen, Lokomotiven und Wagen, die nach dem damaligen Stand der Technik als maßgeblich und für die Verwaltungen als erstrebenswert bezeichnet wurden. Gleichzeitig waren »Einheitliche Vorschriften für den durchgehenden Verkehr« erlassen, die die in dieser Hinsicht an den Zustand der Bahn und der Fahrzeuge zu stellenden Mindestanforderungen bezeichneten. Aus diesen Bestimmungen, die ständig der schnell fortschreitenden Entwicklung angepaßt wurden, gingen später (1867) die noch heute unter dem gleichen Namen erscheinenden »Technischen Vereinbarungen des V. über den Bau und die Betriebseinrichtungen der Eisenbahnen« hervor, ein Werk, das auch weit über die Grenzen des Vereinsgebiets hinaus Bedeutung erlangt hat.
Von hervorragendem Nutzen für die Entwicklung der Eisenbahntechnik im Vereinsgebiet war ferner die Tätigkeit der Techniker des V. bei Bearbeitung der sonstigen wichtigen technischen Fragen, die im V. fortgesetzt zur Erörterung gestellt werden. Von der Gründung des V. an bildet es eine seiner wertvollsten Einrichtungen, die auftauchenden technischen Fragen von Zeit zu Zeit planmäßig aufzugreifen, die zahlreichen zerstreuten Einzelerfahrungen zu sammeln, um aus ihrer Summe die entscheidenden Folgerungen zu ziehen und sie dann zum Nutzen der Gesamtheit zu verwerten. Die so – oft nach langwierigen besonderen Erprobungen und Versuchen – gewonnenen gutachtlichen Urteile der bedeutendsten Eisenbahntechniker haben wesentlich zur Erhöhung der Wirtschaftlichkeit und Sicherheit des Eisenbahnbetriebs beigetragen. Alle Wandlungen der Technik spiegeln sich in diesen Gutachten wider. Von größeren derartigen Arbeiten seien als Beispiele herausgegriffen:
Zusammenstellung der Oberbaukonstruktionen der dem V. angehörenden Eisenbahnen (1868).
Die Eigenschaften von Eisen und Stahl. Mitteilungen über die auf Veranlassung der technischen Kommission des V. angestellten Versuche. Nebst Entwürfen zu den Bedingungen für die Lieferung von Schienen, Achsen und Radreifen (1880).
Mitteilungen neuer Konstruktionen auf dem Gebiet des Lokomotiv- und Wagenbaues (Organ, 1892, II., VII. u. X. Erg.-Bd.).
Aus neuester Zeit seien auch noch die umfangreichen Arbeiten und Versuche des V. zur Einführung, einer selbsttätigen durchgehenden Güterzugbremse erwähnt.
Auf dem Gebiet des Personen- und Güterverkehrs war die Schaffung einheitlicher Beförderungsbedingungen die erste Aufgabe des V. Das erste Reglement für den Güterverkehr trat schon am 1. Juli 1850 in Kraft. Das erste bindende Reglement für die Beförderung von Personen, Reisegepäck, Leichen, Fahrzeugen und lebenden Tieren folgte am 15. April 1865. Diese Reglements brachten den Gedanken, alle Vereinsbahnen – den Reisenden und Verfrachtern gegenüber – einheitlich zu betreiben, in einer für die damalige Zeit vollkommenen Art und Weise zum Ausdruck. Sie sind die Grundlage geworden für das deutsche Eisenbahnfrachtrecht, für die später im Deutschen Reich, in Österreich-Ungarn und in den Niederlanden eingeführten staatlichen Betriebsreglements (Verkehrsordnung) wie auch für das IÜ. über den Eisenbahnfrachtverkehr.
Von größter Bedeutung war ferner das gleichzeitig mit dem ersten BR. für den Güterverkehr geschaffene »Übereinkommen zum Betriebsreglement«, das die aus dem BR. entspringenden Rechte und Pflichten der Eisenbahnverwaltungen untereinander regelte und das stetig, namentlich in der Richtung einer weitergehenden Vereinfachung des gegenseitigen Geschäftsverkehrs ausgebaut wurde. Die Weiterbildung und Vervollkommnung dieser Vereinbarungen bildet heute noch eine der wichtigsten Aufgaben des V. Außerordentliches hat der V. ferner für die Ausbildung direkter Personen- und Güterverkehre und für das Abfertigungswesen, für die Verbesserung der Fahrpläne, dann namentlich auch für die Einführung einheitlicher Eisenbahnzeit und für die Einheit in Maß und Gewicht geleistet. Nur mit den Einzelheiten des Tarifwesens hat sich der V. seltener befaßt, weil hier in jedem Verkehrsgebiet besondere Verhältnisse berücksichtigt werden mußten und ein »einmütiges Handeln« für den Vereinsbereich demnach nicht erhofft werden konnte. Die vom V. im Jahre 1884 geschaffene Einrichtung der zusammenstellbaren Fahrscheinhefte (der sog. Vereinsreiseverkehr), die weit über die Vereinsgrenzen hinaus lebhaften Anklang fand, brachte eine wesentliche Förderung des Reiseverkehrs. Die maßgebenden Bestimmungen für diesen Verkehr sind in dem Übereinkommen betreffend die Ausgabe zusammengestellter Fahrscheinhefte enthalten.
Von großer Tragweite für den Güteraustausch in ganz Mitteleuropa sind die vom V. schon frühzeitig herausgegebenen Vereinbarungen über den Wagenübergang auf anschließende Bahnen geworden, denen am 1. März 1868 das Übereinkommen betreffend die gegenseitige Wagenbenutzung folgte. Hierdurch wurde die Umladung der Güter vermieden und der Übergang aller Wagen der Vereinsverwaltungen von einer Bahn auf die andere so geregelt, daß die Güterwagen der Vereinsbahnen als zu einem einheitlichen großen Wagenpark gehörig erscheinen konnten.
Ferner verdient noch die Tätigkeit des V. auf dem Gebiet der Statistik hervorgehoben zu werden. Seit 1850 werden allgemeine »Statistische Nachrichten von den Eisenbahnen des V.« herausgegeben, ebenso die zur Ausnützung der Erfahrungen für die Technik wertvollen Statistiken über verschiedene technische Einzelgebiete (Achs- und Radreifenbruch-, Schienen- und die noch heute jährlich erscheinende Güteprobenstatistik).
Schließlich sind hier zu erwähnen die Vereinbarungen über den Diensttelegrammverkehr, die Einrichtung der Vereinsabrechnungsstelle sowie die Herausgabe der beiden Fachzeitschriften des V. und die Einrichtung über die Aussetzung von Preisen für Erfindungen und Verbesserungen im Eisenbahnwesen.
Nachfolgend sollen diese Einrichtungen des V. des näheren besprochen werden.
1. Vereinsabrechnungsstelle (VASt.).
Die Benutzung dieser Einrichtung ist durch das Übereinkommen betreffend die Abrechnung im V., gültig vom 1. Mai 1918, geregelt. Die unter der Leitung der geschäftsführenden Verwaltung stehende VASt. hat die Aufgabe, Schulden und Forderungen der Vereinsverwaltungen aus den Verkehrsabrechnungen oder auch aus anderen Geschäften in den zugelassenen Währungen (Mark, Kronen, Frank und Rubel) halbmonatlich in einer Abrechnung (Vereinsabrechnung) zusammenzustellen, hiernach in jeder Währung in einer Summe die Beträge festzusetzen, die die einzelnen Verwaltungen schließlich zu zahlen oder zu empfangen haben (s. Abrechnung).
Zur Begleichung der Schuld- und Forderungsreste sind (seit 1. Mai 1918) für das ganze Vereinsgebiet 2 Vermittlungsstellen (Bankhäuser) eingerichtet, die alle Zahlungen anzunehmen und an die forderungsberechtigten Verwaltungen abzuführen haben.
Die Entwicklung des Geschäftsumfangs der VASt. ergibt sich aus folgenden Zahlen:
Rech- Zahl der Gesamtbetrag Durch Ausgleich nungs- angemelde- angemeldeten in der Vereins- jahr ten Schuld- Beträge abrechnung und Forderungs- in M. verringert auf posten M. 1883 91.200 268,137.280 107,136.259 1903 132.392 441,010.627 144,811.441 1913 218.729 1.370,836.968 255,331.553 1916 199.289 1.969,898.370 364,166.236
2. Öffentliche Preisausschreiben.
Zur Förderung des Fortschritts auf allen Gebieten des Eisenbahnwesens und zur Belebung des Interesses für fachwissenschaftliche Arbeiten setzt der V. seit 1869 in regelmäßigen Zeitabschnitten (seit 1886 alle 4 Jahre) Geldpreise im Gesamtbetrag von 30.000 M. für einen allgemeinen Wettbewerb aus, u. zw. a) für Erfindungen und Verbesserungen an den baulichen Einrichtungen, den Betriebsmitteln, den mechanischen Einrichtungen sowie für solche, die den Betrieb und die Verwaltung der Eisenbahnen betreffen; b) für hervorragende schriftstellerische Arbeiten über das Eisenbahnwesen. Hauptbedingung ist, daß jede Erfindung und Verbesserung auf einer zum V. gehörigen Eisenbahn ausgeführt sein muß, ferner muß die Preisbewerbung durch diese Verwaltung unterstützt sein. Die einzelnen Preise werden im Höchstbetrag von 7500 M. und im Mindestbetrag von 1500 M. verliehen. Bis 1917 wurden 119 Preise im Gesamtbetrag von 289.000 M. verteilt. Die nähere Festsetzung der Wettbewerbsbedingungen und die Vergebung der Preise ist einer Prüfungskommission, jetzt Preisausschuß genannt, übertragen. Die Richtschnur für die Tätigkeit dieses Ausschusses bildet das den Vereinssatzungen als Anhang beigegebene »Übereinkommen betreffend die Aussetzung von Preisen«.
Außerdem stehen seit 1906 alle 4 Jahre weitere 15.000 M. für die Lösung besonderer fachlicher Aufgaben auf dem Gebiet des Eisenbahnwesens oder für die Abfassung bestimmter schriftstellerischer Arbeiten – u. zw. ohne Ausschreibung eines Wettbewerbs – zur Verfügung. Als erste besondere Aufgabe, deren Lösung auf Grund dieser Bestimmung eingeleitet wurde, hat der Preisausschuß im Jahre 1909 die Abfassung eines Werkes über die Entwicklung des Lokomotivbaues bestimmt. Die Fertigstellung des Werkes ist durch den Ausbruch des Weltkriegs verzögert worden.
3. Fachzeitschriften des V.
a) Zeitung des V. Als Organ des V. diente in den Jahren 1847–1860 die von den technischen Mitgliedern der württembergischen Eisenbahnverwaltung K. Etzel und L. Klein seit 1844 in Stuttgart herausgegebene »Eisenbahnzeitung«. Auf Beschluß der Generalversammlung 1860 wurde zur Vertretung der Interessen der Vereinsverwaltungen eine eigene Zeitung gegründet, die seit 1. Juli 1861 unter dem Namen »Zeitung des V.« (ursprünglich im Selbstverlag des V. zuerst in Leipzig, ab 1876 in Berlin, dann seit 1898 im Verlag von Julius Springer in Berlin) erscheint. Die Zeitung berichtet über alle Neueinrichtungen und Ereignisse von allgemeinem Interesse im gesamten Bereich des Eisenbahnwesens, der Verwaltung, des Verkehrs und Betriebs, der Technik und des Rechtswesens. Sie bringt ferner die amtlichen Mitteilungen der geschäftsführenden Verwaltung des V. über Vereinsangelegenheiten und dient namentlich auch als gemeinsames Veröffentlichungsblatt aller Vereinsverwaltungen für die Tarif- und sonstigen Bekanntmachungen. Die Zeitung erscheint zweimal wöchentlich, in den letzten Jahren in einer Auflage von rd. 8000 Stück. Die Vereinsverwaltungen erhalten eine (nach der Bahnlänge festgesetzte) Anzahl Abdrücke kostenfrei, weitere Abdrücke zu einem geringen Bezugspreis. Im übrigen werden die Kosten des Zeitungsunternehmens, soweit sie nicht aus den Bezugsgeldern von Fremden und aus den Einnahmen für Privatanzeigen gedeckt sind, aus der Vereinskasse bestritten.
b) Organ für die Fortschritte des Eisenbahnwesens in technischer Beziehung. Zur Schaffung eines besonderen Mittelpunktes für die Besprechung der Eisenbahntechnik beschloß die Generalversammlung vom Juli 1862, zunächst das von dem Oberingenieur Heusinger v. Waldegg 1845 gegründete »Organ für die Fortschritte des Eisenbahnwesens in technischer Beziehung« (Verlag von C.W. Kreidel, Wiesbaden) als technisches Fachblatt des V. mitzubenutzen. Die Zeitschrift erschien ursprünglich jährlich nur in 6 Heften, von 1895 ab monatlich einmal. Später (1906) wurde das Organ – unter Belassung des Eigentums und Verlags bei C.W. Kreidel, Wiesbaden (jetzt Berlin) – zum eigentlichen technischen Fachblatt des V. ausgestaltet. Es erscheint demgemäß seit 1. Januar 1907 »im Auftrag des V.«, u. zw. in 24 Halbmonatsheften. Der V. hat den Schriftleiter zu bestimmen; er gewährt nunmehr auch einen beträchtlichen Zuschuß zu dem Unternehmen. Das Organ berichtet in durch zahlreiche Abbildungen und Zeichentafeln erläuterten Abhandlungen über alle wichtigen Erfindungen, Verbesserungen und Fortschritte im Eisenbahnwesen.
Die Auflage war in den letzten Jahren rd. 3200 Stück. Der V. bezieht hiervon vertragsmäßig eine bestimmte Anzahl (zuletzt 1700) Abdrücke, die unter den Vereinsverwaltungen im Verhältnis der Bahnlängen verteilt werden.
Zu dem Organ werden nach Bedarf Ergänzungsbände herausgegeben, in denen hauptsächlich die Ergebnisse einer Reihe wichtiger Arbeiten der Technikerversammlung und des technischen Ausschusses des V. aus fast allen Gebieten der Eisenbahntechnik niedergelegt sind. Bis 1917 sind 15 Ergänzungsbände erschienen.
Literatur: Beschlüsse der Vereinsversammlungen und der ständigen Ausschüsse; Festschrift über die Tätigkeit des VDEV. in den ersten 50 Jahren seines Bestehens, 1846–1896. Berlin 1896.
Burmeister.
http://www.zeno.org/Roell-1912. 1912–1923.