- Zugbelastung, Zuggewicht, Zugstärke
Zugbelastung, Zuggewicht, Zugstärke. Die Belastung eines Zugs wird ausgedrückt entweder durch sein Gewicht (weight of train; poids d'un train; peso del treno), u. zw. dem Gewicht aller Fahrzeuge und ihrer Ladung ausschließlich der Zuglokomotive (s. Bruttolast), oder durch seine Stärke (make-up of train; composition d'un train; composizione del treno), berechnet nach der Zahl der Wagen oder Wagenachsen. Die Ermittlung der Achsenzahl dient mehrfachen Zwecken. In ihr wird die größte zulässige Z. für die einzelnen Zuggattungen, für bestimmte Fahrgeschwindigkeiten und für bestimmte Bahnstrecken ausgedrückt. Nach ihr wird ferner überschläglich die Zuglänge (length of train; longueur d'un train; lunghezza del treno) ermittelt, um übersehen zu können, ob die Bahnhofsgleise zur Aufnahme der Züge ausreichen. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß ein gewisser Spielraum zwischen der nutzbaren Gleis- oder Bahnsteiglänge und der Z. notwendig ist, damit der Lokomotivführer nicht gezwungen wird, unter großer Zeitversäumnis den Zug genau an einer bestimmten Stelle zum Halten zu bringen. Auch ist mit der durch die verschiedene Länge der Wagen entstehenden Einwirkung auf die Zuglänge sowie mit der Möglichkeit zu rechnen, daß dem Zuge eine zweite oder dritte Lokomotive vorgespannt wird. Endlich wurde früher allgemein und in vielen Fällen auch jetzt noch aus der Zahl der Achsen die zulässige Lokomotivbelastung sowie die Zahl der zu besetzenden Bremsen hergeleitet. Diese leicht auszuführende aber die wirkliche Z. nur annähernd erfassende Berechnungsweise konnte nicht in allen Fällen beibehalten werden, als die fortschreitende Entwicklung der Bahnanlagen und der Betriebsmittel erhöhte Ausnutzung ihrer Leistungsfähigkeit unter Wahrung voller Wirtschaftlichkeit forderte. Zugkraft und Z. mußten einander möglichst genähert und beide den Bahnanlagen enger angepaßt werden. Zur Berechnung der Z. nach Wagenachsen trat die zutreffendere Berechnung nach dem Gewicht. Die Schwierigkeiten, die diese durch die TV. des VDEV. für die Bremsbesetzung bereits im Jahre 1909 vorgesehenen Berechnungsweise (s. Bremsbrutto) im praktischen Dienste mit sich bringt, haben die deutschen Eisenbahnen von ihrer allgemeinen Anwendung bisher zurückgehalten. Bei versuchsweise angestellter Bremsberechnung nach dem Gewicht der Wagen fand sich, daß die auf verschiedene Fehlerquellen zurückzuführenden Ungenauigkeiten mindestens denselben Grad erreichen wie bei der weit einfacheren Berechnung nach Achsen. Die Berechnung der Z. nach dem Gewicht hat daher allgemeinen Eingang nur gefunden, soweit es sich um die Festsetzung der von der Lokomotive zu übernehmenden Leistung handelt (s. Belastungstabelle).
Bei Personenzügen erfolgt die Feststellung der Z. nach dem Gewicht in der Regel derart, daß auch die leeren Wagen als beladen angesehen werden. Jede Achse eines Güterwagens wird dann mit 7,5 t, eines 2 -3achsigen Post-, Gepäck- oder Personenwagens mit 7,0 t, eines 4achsigen ebensolchen Wagens mit 9,5 t und eines 6achsigen Wagens mit 8,5 t Betriebsgewicht angesetzt. – Bei Güterzügen werden sämtliche leeren Wagen mit ihrem auf ganze Tonnen abgerundeten Eigengewicht berechnet, beladene Gepäck- oder Personenwagen wie bei Personenzügen behandelt, während die übrigen beladenen Wagen mit ihrem abgerundeten Eigengewicht und dem Gewicht der Ladung nach Maßgabe des Frachtbriefes oder des Ladegewichts angerechnet werden. Bei Militärsendungen sind als Ladegewicht für Wagen mit Gepäck 6 t, für Wagen mit Pferden 4 t und für Wagen mit Fahrzeugen 3 t anzusetzen. Kalt beförderte Lokomotiven werden 14 t für jede Achse und 7,5 t für jede Tenderachse angerechnet.
Die Z. ist in erster Linie abhängig von der Zugkraft der Lokomotive, sodann aber auch von der baulichen Anordnung und der Leistungsfähigkeit der Bahnanlagen. In der Festsetzung der Grundlagen hierfür sind die einzelnen Verwaltungen nicht frei, weil die Rücksicht auf die Übergangsfähigkeit der Wagen dazu zwingt, die Zugkraft der Lokomotiven nicht über die Leistungsfähigkeit der Zugvorrichtungen der Wagen (s. Kupplungen und Achsenzahl) zu steigern und weil die aus Wageneigengewicht und Ladung sich ergebende Belastung der einzelnen Achsen in der Tragfähigkeit des Oberbaus und der Brücken ihre Grenzen findet (s. Achsbelastung). Von großem Einfluß auf die Z. sind sodann die Steigungs- und Krümmungsverhältnisse der Bahn. Das Befahren stark ansteigender oder stark gekrümmter Strecken erfordert ebenso wie die Anwendung hoher Fahrgeschwindigkeiten große Kraftentwicklung. Zwingen die Forderungen des Verkehrs zu schnellem Fahren oder zur Beförderung der Züge über stark ansteigende Bahnstrecken, so hat dies eine mehr oder weniger erhebliche Beschränkung der auf ebener Bahn zulässigen Z. zur Folge, wenn nicht in bestimmten Fällen auf Verstärkung der Zugkraft durch Vorspann- oder Drucklokomotiven zurückgegriffen wird. In wie hohem Grade eine Steigerung der Fahrgeschwindigkeit zur Herabsetzung der Z. zwingt, das erhellt am besten aus den Ergebnissen der Versuchsfahrten, die von der Studiengesellschaft für elektrische Schnellbahnen im Jahre 1901 auf der Strecke Marienfelde – Zossen angestellt wurden. Ein einziger sechsachsiger Wagen von 93 t Gewicht mit 50 Sitzplätzen erforderte zu seiner Fortbewegung mit 150 km/Std. Fahrgeschwindigkeit einen Kraftaufwand von 750 PS und mit 200 km Geschwindigkeit sogar von ast 1700 PS.
Den erwähnten Bestrebungen zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit suchte man anfangs durch Vermehrung der Wagen- oder Achsenzahl Rechnung zu tragen. Es wurden Güterzüge bis 150 Achsen stark zugelassen. In Nordamerika ging man bis auf das Doppelte dieser Achsenzahl; ohne damit die Grenze als erreicht anzusehen. Als dann aber im Laufe der Zeit die Länge der Wagen besonders bei bestimmten Gattungen nicht unerheblich zunahm, reichten die Bahnhofgleise zur Aufnahme der Züge nicht mehr aus. Ihre nachträgliche Verlängerung erwies sich im allgemeinen als viel zu kostspielig. Auch bei Um- und Neubauten stellte es sich als erwünscht heraus, die Länge der Bahnhofsgleise nicht allzusehr über das bis dahin übliche Maß hinaus zu steigern. Gegen die Ausdehnung der Zuglänge sprachen außerdem die Bestrebungen zur Erhöhung der Sicherheit des Betriebs. Lange Züge bedürfen längerer Bremswege (s.d.), die Bremsbereitschaft ist nicht so groß wie bei kurzen Zügen, die der Lokomotivführer besser in der Gewalt hat und bei denen Stöße und Schwankungen der Fahrzeuge sich nicht im gleichen Maße fortzupflanzen und zu verstärken pflegen. Aus diesen Erwägungen heraus ist für die deutschen Haupteisenbahnen durch § 54 der EBBO. als obere Grenze der Z. festgesetzt, daß Personenzüge höchstens 80 Achsen, Güterzüge mit regelmäßiger Personenbeförderung und Militärzüge höchstens 110 Achsen und reine Güterzüge höchstens 120 Achsen stark sein dürfen. Nur in Ausnahmsfällen wird für Güterzüge auf besonderen Strecken die früher allgemein übliche größte Zahl von 150 Achsen zugelassen. Hiervon wird aber nur auf wenigen Bahnstrecken für die Beförderung reiner Leerwagenzüge Gebrauch gemacht. – Um aus der Achsenzahl die Zuglänge zu ermitteln, pflegt man einen Abstand der Achsen von durchschnittlich 3,7–4,5 m je nach Bauart der vorwiegend in den Zügen laufenden Wagen in Rechnung zu bringen (s. Bahnhöfe unter VIII).
Auf vielen Bahnhöfen macht schon die Aufstellung von 120 Achsen starken Zügen Schwierigkeiten. Bevor man in solchem Fall zur allgemeinen Herabsetzung der für die Strecke zulässigen größten Z. schreitet, sucht man den Schwierigkeiten dadurch zu begegnen, daß die Achsenzahl an die Bahnhöfe, auf denen die Züge aus dem durchgehenden Hauptgleise abgelenkt werden sollen, vorgemeldet wird. Die Bahnhöfe sind dann meist in der Lage, für die längsten Züge die längsten Gleise freizuhalten. Bestrebungen auf Einschränkung der Z. haben sich neuerdings auch in Nordamerika geltend gemacht. Sie gehen vom Verband der Zugbegleitbeamten aus, die die Zahl der höchstens in einem Güterzuge zu befördernden Wagen auf 50 (= 200 Achsen) oder die größte Zuglänge auf 1/2 Meile festgesetzt sehen möchten (Arch. f. Ebw. 1915, S. 876).
Die für eine wirtschaftliche Betriebsführung durchaus erwünschte Steigerung der Z. kann trotz Beschränkung der Zuglänge durch Erhöhung der Achsbelastung (s.d.) oder der Tragfähigkeit der Wagen erreicht werden. Über die auf diesem Wege erzielten Erfolge sowie über das auf die Achse eines Zugs durchschnittlich entfallende Gewicht geben die Aufsätze Bruttolast, Nutzlast, Belastungstabellen, Betriebsergebnisse, Betriebsmittel, Betriebssystem und Lokomotive unter IV und V einigen Aufschluß. Die Stellung der Zugkraft bildet den Hauptanteil an den Zugkosten (s.d.). Z. und Zugkraft einander anzupassen und die Zugkraft voll auszunutzen ist daher stete Sorge des Betriebsleiters. Soweit sieht aus der Überwachung des Fahrdienstes nicht ohneweiters die Notwendigkeit der einzelnen Zugfahrten ergibt, sind eingehende laufende Aufschreibungen über die Z. unerläßlich (s. Zugbildung). Ebenso bedarf es der Nachprüfung, ob die Verwendung von Vorspannlokomotiven, soweit sie nicht planmäßig geregelt ist, durch die Z. in jedem einzelnen Fall gerechtfertigt war. – Die mit Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit der verschiedenen Lokomotivgattungen oder auf die Strecken- und Bahnhofsverhältnisse zulässigen Z. werden den Betriebsbeamten durch besondere Dienstvorschriften bekanntgegeben. Auf den deutschen Bahnen erfolgt das nach § 84 (5) der VF. in der Regel im Anhang zum Fahrplanbuch, während die Bestimmungen auf den österreichischen Bahnen nach Art. 63 der Vorschr. f.d. Verkehrsdienst in den Tabellen 3–6 des Anhanges zu den Fahrordnungsbüchern enthalten sind.
Breusing.
http://www.zeno.org/Roell-1912. 1912–1923.