- Baltimore- und Ohio-Eisenbahn
Baltimore- und Ohio-Eisenbahn, eine der den Verkehr zwischen den atlantischen Häfen und den westlichen Binnenstapelplätzen der Union vermittelnden Hauptbahnen (Trunk Lines). Ihr östlicher Ausgangspunkt ist Baltimore in Maryland, von wo sie sich in nördlicher, südlicher und westlicher Richtung erstreckt, hauptsächlich durch die Staaten Maryland, West Virginia, Pennsylvania und Ohio. Seit Mitte der Achtzigerjahre des vorigen Jahrhunderts hat sie sich allmählich nach Norden, nach Philadelphia und bis New York ausgedehnt und einen großen Teil der innerhalb ihres Netzes belegenen Linien erworben. Im Jahre 1898 wurde ihr Anschluß an das Netz der Überlandbahnen geplant (Northern Pacific- und Great Northern-Eisenbahn), um auf diese Weise eine einheitlich verwaltete Linie von den östlichen Hafenplätzen Baltimore, Philadelphia und New York nach dem Stillen Ozean zu erhalten. Die Ausführung dieses Planes ist nicht gelungen. Ihre Länge betrug am 1. Mai 1911 einschließlich der von ihr gepachteten und beherrschten Linien 8978 km. Die Stammbahn erstreckt sich von Baltimore nach Wheeling in Westvirginien. Sie wurde in Maryland am 28. Februar, in Virginien am 28. März 1827 konzessioniert, die erste 22 km lange Strecke von Baltimore nach Ellicott Mill's am 22. Mai 1830 eröffnet und zunächst mit Pferden, vom 25. August 1830 ab aber bereits mit Dampfkraft betrieben. Die ersten Versuche fanden mit der kleinen von Peter Cooper in New York gebauten Lokomotive von etwa einer Pferdekraft statt, die unter dem Namen Tom Thumb bekannt ist (vgl. auch Geschichte der Eisenbahnen der österreichisch-ungarischen Monarchie, Band I, S. 45–47, wo ein mit dieser Lokomotive gefahrener Zug abgebildet ist).
Die Bahn hatte von Anfang an mit großen technischen und finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen, die veranschlagten Baukosten wurden bedeutend überschritten, zur Erlangung der nötigen Geldmittel mußten immer neue Opfer gebracht werden. So wurden in der Zeit von 1830 bis 1852 in 7 Jahren gar keine Dividenden, in den übrigen Jahren solche in der Höhe von 0∙37 bis 2∙5% bezahlt. Später besserten sich die Verhältnisse bis zu den gewaltigen Tarifkriegen zwischen den ostwestlichen Hauptbahnen von Mitte der Siebziger- bis Mitte der Achtzigerjahre des vorigen Jahrhunderts.
In diesen hat die Bahn eine wichtige Rolle gespielt. Da die Entfernung von Baltimore nach den Stapelplätzen des Westens eine geringere ist, als die von New York und Philadelphia (Chicago-New York 1500 km gegen Chicago-Baltimore etwa 1300 km), so verlangte die Bahn im Verbandsverkehr auch niedrigere Tarife, und als ihr solche zugestanden wurden und nunmehr die Getreideausfuhrsendungen ihren Weg über Baltimore statt über New York nahmen, verursachte dies lebhafte Aufregung bei dem New Yorker Handelsstand, der die New Yorker Bahnen nötigte, das Zugeständnis zurückzunehmen, was zu neuen Kämpfen führte.
Die Bahn ist lange Zeit unter der Verwaltung der Familie Garrett gewesen, ihr langjähriger Präsident war der im Jahre 1884 verstorbene hervorragende Eisenbahnfach- und Finanzmann John W. Garrett. Sein Bestreben, der Bahn unter Aufwendung bedeutender Mittel einen selbständigen Endpunkt in New York zu sichern, war zunächst ohne Erfolg, und seinem ihm nachfolgenden Sohn Robert Garrett gelang es nicht, die finanziellen Schwierigkeiten, in die sein Vater die Bahn verwickelt hatte, zu beseitigen, zumal sich herausstellte, daß der bedeutende Reservefonds, den die Bahn besitzen sollte (etwa 48 Mill. Doll.), in schlechten, zum Teil unverkäuflichen und ertraglosen Werten angelegt war. Es erregte großes Aufsehen, als die Bahn im September 1887, um aus ihren finanziellen Verlegenheiten herauszukommen, ein Anlehen von 10 Mill. Doll. zu machen genötigt war und bald darauf auch noch gezwungen wurde, ihre bisher von der großen Western Union Telegraph Company unabhängigen Telegraphenlinien an diese Gesellschaft sowie ihre Anteile an Werten der Expreßgesellschaften und an der Pullman-Wagenbaugesellschaft zu verkaufen.
Im Jahre 1888 gab Robert Garrett seine Entlassung ein. Die Dividende der Bahn war von 10% im Jahre 1885 auf 8% in 1886, 4% in 1887 herabgegangen und hörte 1888 ganz auf. Besonders hart wurde durch diesen Niedergang die berühmte John-Hopkins-Universität in Baltimore betroffen, die einen großen Teil ihres Vermögens in Aktien der Baltimore- und Ohio-Bahn angelegt hatte. Es folgten ein Jahrzehnt ununterbrochene Bemühungen, mit Hilfe der großen Bankhäuser die Bahn in gesündere Verhältnisse zu überführen. Bei den verschiedenen Untersuchungen ihrer Finanzverhältnisse wurden schwere Mißbräuche bei der Verwaltung, Bücherfälschungen u. dgl. aufgedeckt. Im Jahre 1898 gelang die Reorganisation mit großen Opfern der Gläubiger und der Aktionäre. Seitdem hat sich die Bahn befriedigend weiterentwickelt.
Literatur: Vgl. Reitzenstein, The economic history of the Baltimore and Ohio Railroad. Baltimore 1897. – Daggett, Railroad Reorganisation. 1908, S. 1–32.
v. der Leyen.
http://www.zeno.org/Roell-1912. 1912–1923.