- Rechtsschutz
Rechtsschutz im allgemeinen ist in jedem Rechtsstaat einerseits die staatlich gewährleistete Anerkennung aller auf gesetzlichem Weg erworbenen Rechte und entstandenen Rechtsverhältnisse, anderseits der staatlich anerkannte Anspruch auf Rechtshilfe im Fall der Gefährdung oder Verletzung von Rechten. Soweit nicht Selbsthilfe möglich und rechtlich zulässig erscheint, ist die Durchsetzung von Rechtsansprüchen und die Abwehr von Rechtsverletzungen bei den hierfür vorgesehenen Behörden und Gerichten geltend zu machen. Diese Geltendmachung erfordert einen bestimmten Grad von Einsicht und ist oft mit nicht unbedeutenden Kosten verbunden. Der Mangel dieser Erfordernisse kann bei den wirtschaftlich Schwachen bis zum Rechtsverzicht führen. Um diesem Übelstand abzuhelfen, haben insbesondere im Deutschen Reich und auch in Österreich die meisten Berufsvereine, vor allem jene der Arbeitnehmer Einrichtungen getroffen, die man in ihrer Gesamtheit ebenfalls als R. zu bezeichnen pflegt.
Von besonderer Wichtigkeit ist der R. für die Eisenbahnbediensteten, insbesondere jene des äußeren Betriebsdienstes. Die erhöhte Verantwortlichkeit dieses Berufs kann selbst den gewissenhaftesten Beamten in die Lage bringen, dienstliche Handlungen oder Unterlassungen vor Gericht verantworten zu müssen. Der Eisenbahnbedienstete ist ferner der Gefahr von Unfällen in besonderem Maß ausgesetzt. Es ist daher für ihn von großem Vorteil, zur Verfolgung allfälliger Ansprüche aus solchen Anlässen unentgeltlichen oder doch billige rechtskundigen Beistand zu genießen.
In Deutschland hat der weitaus größte Teil der Eisenbahner-Berufsvereine den R. in seinen satzungsmäßigen Wirkungskreis aufgenommen. So wurde Ende 1891 in Hannover der »Rechtsschutzverein deutscher Eisenbahn-Verkehrsbeamten« gegründet. Sein Zweck bestand darin, den Vereinsmitgliedern in allen auf den Eisenbahndienst bezüglichen Strafsachen sowie in Zivilprozessen, die aus dem Eisenbahndienst heraus entstehen, den nötigen R. angedeihen zu lassen, außerdem auf Verhütung von Eisenbahnunfällen hinzuwirken, die Einrichtung besonderer Eisenbahngerichte zur Untersuchung der Betriebsunfälle anzustreben und Wohlfahrtseinrichtungen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Vereinsmitglieder in die Hand zu nehmen. Im Jahre 1892 wurde dieser Verein zu dem »Deutschen Eisenbahnbeamten-Verein in Hannover« erweitert, der Rechtshilfe sowohl seinen Mitgliedern in allen auf den Eisenbahndienst bezüglichen Strafsachen und in denjenigen Zivilprozessen, die aus dem Eisenbahndienst heraus entstehen, als auch den Hinterbliebenen zur Geltendmachung ihrer gesetzlichen Ansprüche gewährt und allgemeine Interessenvertretung durch Gutachten über alle Vorgänge sowohl im Berufswie im Privatleben zusichert. Der Verein der Beamten der sächsischen Staatseisenbahnen gewährt Rechtshilfe bei Eisenbahnunfällen, insoweit diese weder durch böse Absicht noch durch grobe Pflichtvernachlässigung entstanden sind. Der bayerische Eisenbahnerverband hat eine Rechtsschutz- und Auskunftsstelle, die mit der Schriftleitung seiner Verbandszeitschrift »Eisenbahner« verbunden ist. Der Verband pfälzischer Eisenbahnbeamten gewährt R. durch Vergütung von Anwaltskosten. Der Verband der württembergischen Eisenbahn- und Dampfschiffunterbeamten bietet seinen Mitgliedern R. in allen auf den Verkehrsdienst bezüglichen gerichtlichen Strafsachen, in die sie nicht auf Grund vorsätzlicher strafbarer Handlungen oder durch eigenes grobes Verschulden hineingezogen werden, sowie unter den gleichen Voraussetzungen in Zivilprozessen, die aus dem Verkehrsdienst heraus entstehen. Daneben gewährt er Vertretung vor dem Reichsversicherungsamt, Unterstützungen in besonderen Notfällen und Benutzung einer Auskunftei. Der Verband badischer Eisenbahnbeamten hat besondere Satzungen über Gewährung von R. und Familienbeirat. Der Verein der deutschen Reichseisenbahnbeamten gewährt R. in Strafsachen und Zivilprozessen, die aus dem Eisenbahndienst heraus entstehen und gegen Vereinsmitglieder anhängig gemacht werden oder von diesen zur Vermeidung persönlicher dienstlicher Nachteile geführt werden müssen. Der Verein mittlerer Staatseisenbahnbeamten in Köln besitzt eine eigene Rechtsschutzkasse für alle auf den Eisenbahndienst bezüglichen Rechtssachen. Der Verein deutscher Lokomotivführer in Leipzig gewährt seinen Mitgliedern R. bis zu 400 M. für Fälle, in denen sie wegen eines Betriebsunfalls in Anspruch genommen werden, sofern nicht grobe Fahrlässigkeit vorliegt u.s.w.
In Österreich gewährt die Mehrzahl R., so der Deutsch-Österreichische Eisenbahnbeamten-Verein in Wien, der Verein tschechischer Eisenbahnbeamten in Prag, der Reichsbund deutscher Eisenbahner Österreichs in Wien, der Unterstützungs- und Rechtsschutzverein österreichischer und ungarischer Lokomotivführer in Wien. Diese 4 Vereine haben zusammen in den Jahren 1912 und 1913 bei Jahreseinnahmen von etwa 650.000 K u.a. Rechtsschutzauslagen von jährlich etwa 40.000 K bestritten. Die Tätigkeit des allgemeinen Rechtsschutz- und Gewerkschaftsvereins österreichischer Eisenbahner in Wien auf dem Gebiet des R. ist in seiner Zeitschrift »Der Eisenbahner«, Nr. 10 vom 1. April 1912 eingehend dargestellt; darnach wurden in der Zeit von 1896 bis 1911 im ganzen 18.249 Rechtsfälle erledigt. Die Kosten betrugen im ganzen über 563.000 K.
Der Verein der Unterbeamten, Diener und Arbeiter der Aussig-Teplitzer Eisenbahn in Aussig hat eine eigene Rechtsschutzkasse, die R. gewährt in allen Rechtsangelegenheiten der Teilnehmer, die aus ihrer Eigenschaft als Eisenbahnbedienstete im allgemeinen oder als Angestellte der Aussig-Teplitzer Eisenbahn im besonderen hervorgehen und vor Gericht im Straf- oder Zivilverfahren oder vor dem Schiedsgericht der berufsgenossenschaftlichen Unfall-Versicherungs-Anstalt der österreichischen Eisenbahnen zu behandeln sind. Der R. erstreckt sich auch auf jene Fälle, in denen ein Teilnehmer sein Recht aus dem Dienstvertrag vor dem Gericht oder einem Schiedsgericht gegen die Aussig-Teplitzer Eisenbahn selbst durchführen will. In diesem Fall obliegt es jedoch dem Verwaltungsausschuß, vorerst dahin zu wirken, daß solche Rechtsangelegenheiten möglichst in Güte ausgetragen werden. Die Mittel zur Deckung des Aufwandes der Rechtsschutzkasse werden durch Beiträge der Teilnehmer und sonstige Zuwendungen beschafft.
Literatur: W. Kulemann, Die Berufsvereine. I. Abt., Bd. II, 2. Aufl., G. Fischer, Jena 1908.
Wisgrill.
http://www.zeno.org/Roell-1912. 1912–1923.