Eisenbahnmonopol

Eisenbahnmonopol

Eisenbahnmonopol (railway monopoly; monopole des chemins de fer). Unter Monopol versteht man das Vorrecht, eine wirtschaftliche Tätigkeit in einem bestimmten Gebiet allein auszuüben. Ein solches Vorrecht kann der Staat ausüben (Tabak-, Salz-, Branntweinmonopol), er kann es auch an Private verleihen, sei es auf die Dauer, sei es auf beschränkte Zeit; in beiden Fällen bedarf es eines Akts der Gesetzgebung. Neben diesen rechtlichen gibt es sog. faktische oder natürliche Monopole, deren Wesen darauf beruht, daß gewisse wirtschaftliche Tätigkeiten an sich und ihrer Natur nach so beschaffen sind, daß sie nur von einem einzelnen wahrgenommen werden können.

Ein E. im ersteren rechtlichen Sinn besteht bisher nirgends. Selbst in den Ländern, in denen das Staatsbahnsystem eingeführt ist, gibt es heute noch Privatbahnen, und es werden, wenn auch in beschränktem Umfang, Privatbahnen weiter zugelassen. Für das Deutsche Reich macht der Absatz 3 des Art. 41 der Reichsverfassung ein E. im rechtlichen Sinn unmöglich, da er die gesetzlichen Bestimmungen, die bestehenden Eisenbahnunternehmungen ein Widerspruchsrecht gegen die Anlegung von Parallel- und Konkurrenzbahnen einräumen, für das Reich aufhebt und weiter festsetzt, daß ein solches Widerspruchsrecht auch in den künftig zu erteilenden Konzessionen nicht weiter verliehen werden kann.

Dagegen ist heute die Volkswirtschaftslehre damit einverstanden, daß die Eisenbahnen ein faktisches oder natürliches Monopol besitzen. Dieses Monopol entspringt hauptsächlich aus zwei Gründen. Einmal ist die Eisenbahn innerhalb ihres Gebiets ihrem Wesen nach von verschiedenen Verkehrsmitteln das vollkommenste; sie befördert Personen und Güter bequemer, schneller und meist auch billiger als jedes andere Verkehrsmittel und schließt damit andere Verkehrsmittel aus ihrem Gebiet tatsächlich aus. Sodann erfordert die Anlage einer Eisenbahn so erhebliche Geldmittel, daß nach Herstellung einer Eisenbahn zwischen zwei Endpunkten es tatsächlich bisher niemals gelungen ist, zur Anlage einer oder mehrerer weiteren Eisenbahnen in derselben Richtung und zwischen denselben Zwischen- und Endpunkten die erforderlichen Geldmittel aufzubringen. In der Geschichte des Eisenbahnwesens aller Länder sind Fälle nicht bekannt, daß zwei vollständig nebeneinander parallel laufende Eisenbahnen auf größeren Strecken gebaut worden wären.

Die Ansichten der ganz überwiegenden Mehrzahl der Lehrer der Volkswirtschaft aller Länder geht ferner dahin, daß die Überlassung eines solchen Monopols an Privatpersonen zur beliebigen unbeschränkten Ausbeutung wirtschaftlich höchst bedenklich sein würde. Es müßte dies dahin führen, daß nach Willkür des Unternehmers dem einen die Eisenbahn zugänglich gemacht, dem andern verschlossen, daß dem einen hohe, dem anderen niedrige Beförderungspreise gestellt würden, und andere ähnliche, das gesamte wirtschaftliche Leben eines Landes schädigende Ungleichheiten nach der freien Laune des Privatunternehmers entstünden. – Man glaubte aber, es könne solchen Mißständen vorgebeugt werden durch die staatliche Beaufsichtigung der Eisenbahnen, insbesondere ihrer Tarife, und sah auch in der Anlage konkurrierender Eisenbahnen ein geeignetes Mittel zur Verhinderung eines streng monopolistischen Eisenbahnbetriebs.

Die Erfahrung aller Länder hat erwiesen, daß die in dem natürlichen Monopol der Eisenbahnen liegenden Gefahren durch derartige Mittel zwar gemildert, aber nicht vollständig beseitigt werden können. Eine noch so strenge und ins einzelne gehende Staatsaufsicht hat es z.B. in Frankreich nicht zu verhindern vermocht, daß das Publikum von den Eisenbahnen ungleich behandelt worden ist. Eine Konkurrenz verschiedener Eisenbahnen untereinander und mit anderen Verkehrsmitteln, insbesondere mit den Wasserstraßen (dem Meere, den Flüssen, den Kanälen), hat auch in den Ländern mit weitest ausgedehnter Eisenbahnfreiheit stets nur vorübergehend auf kurze Zeit sich als wirksam erwiesen und bald dazu geführt, daß die im Wettbewerb stehenden Unternehmungen sich freiwillig über die Art der Verwaltung und die Preisstellung verständigt oder aber miteinander ganz verschmolzen haben. Die Geschichte der Eisenbahnen in England und in den Vereinigten Staaten von Amerika bietet hierfür zahlreiche Beispiele; in beiden Ländern haben die Eisenbahnen insbesondere auch den Kanälen, soweit sie ihnen unbequem wurden, durch ihre Verkehrspolitik den Betrieb zu lohnenden Preisen unmöglich gemacht und sie schließlich wohl auch angekauft. Die Folge derartiger Verschmelzungen ist eine weitere Stärkung des Monopols. Ein Anreiz, von dem Konkurrenzbetrieb zur Verständigung überzugehen, liegt ferner darin, daß der Konkurrenzbetrieb der Natur der Sache nach teurer ist, als der gemeinsame Betrieb. In England und bis zu einem gewissen Grad in den Vereinigten Staaten von Amerika hat die natürliche und freie Entwicklung der Verhältnisse dahin geführt, daß die überwiegende Mehrzahl der Eisenbahnlinien in den Händen weniger Privatunternehmer vereinigt ist, die sich nach ihren Interessen über die Gebiete verständigt haben, die jeder von ihnen ausbeutet und in die einzudringen der andere verzichtet (s. Eisenbahnkönige). Die mit dem Anwachsen einer solchen Macht, wie sie der Besitz eines großen Eisenbahnnetzes gewährt, verbundenen wirtschaftlichen Gefahren werden in beiden Ländern wohl erkannt, man hat sich aber bisher vergeblich bemüht, wirksame Mittel zu ihrer Abwehr zu finden. In Frankreich ist bei Erlaß der ersten umfangreichen gesetzlichen Bestimmungen über die Anlage des Eisenbahnnetzes schon im Jahre 1842 Vorsorge getroffen worden, daß jede einzelne Bahn ein Gebiet des Staates selbständig und unbeeinflußt durch die benachbarten Bahnen betreiben konnte; ähnliche Bestimmungen sind später in den Niederlanden und in Italien erlassen worden. Damit war der Wettbewerb der Bahnen nahezu vollständig beseitigt, aber jedes einzelne Gebiet wurde nunmehr monopolistisch ausgebeutet.

Das Bestehen der natürlichen und tatsächlichen Monopole der Eisenbahnen ist für andere Staaten einer der Hauptgründe gewesen, die Eisenbahnen der Privatunternehmung ganz zu entziehen und für den Staat zu erwerben, und die in diesen Ländern bisher gemachten Erfahrungen haben erwiesen, daß nur die Staatsverwaltung die Gewähr für eine gemeinnützige Ausbeutung des E. bietet.

Literatur: Sax, Transport- und Kommunikationswesen, in Schönbergs Handbuch der politischen Ökonomie, 3. Aufl., Band I, S. 516 ff. – Michaelis, Volkswirtschaftliche Schriften, Band I, Berlin 1873, besonders der Aufsatz: Die Haftungspflicht und das natürliche Monopol der Eisenbahnen, S. 1–41. – Lehr, Eisenbahntarifwesen und Eisenbahnmonopol, Berlin 1879, insbesondere S. 38 ff. – Für England: Cohns Untersuchungen über die englische Eisenbahnpolitik von den im Register zu Band III, Leipzig 1883, unter »Monopol« aufgeführten Stellen. – Für Amerika: v. der Leyen, Die nordamerikanischen Eisenbahnen, Leipzig 1885, insbesondere S. 14–18, 339 ff. – Ferner die volkswirtschaftlichen Lehr- und Handbücher, die Werke über Eisenbahntarife, Eisenbahntransport u.s.w.

v. der Leyen.


http://www.zeno.org/Roell-1912. 1912–1923.

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