- Afrika
Afrika. Die Entwicklung der Eisenbahnen in Afrika macht allmählich erfreuliche Fortschritte. Ein Blick auf die Karte von Afrika lehrt, daß der Löwenanteil an der Entwicklung der dortigen Eisenbahnen der englischen Nation gebührt.
Vor allem haben es die Verwaltungen der englischen Kolonien von Südafrika fertiggebracht, dem Lande in verhältnismäßig kurzer Zeit ein umfangreiches, weit verzweigtes Eisenbahnnetz – nahezu 14000 km – zu verschaffen. Die neuesten Fortschritte der britischen Bahnbauten in Südafrika, in Rhodesien und Betschuanaland sind höchst beachtenswert. Die Gründung der südafrikanischen Union wird die einheitliche Weiterentwicklung des Eisenbahnwesens und einen engeren Zusammenschluß der Eisenbahnen in den südafrikanischen Kolonien zweifellos fördern und den bisherigen Tarifstreitigkeiten und unersprießlichen Wettbewerbsbestrebungen unter den einzelnen Interessengebieten voraussichtlich ein Ziel setzen.
Die Tätigkeit der Englischen Verwaltung in Ägypten und im Sudan hat an der Ostküste von Afrika den Grund gelegt zu einem einschließlich der Privatbahnen mehr als 5500 km betragenden Eisenbahnnetz, das dem englischen Mutterlande die Herrschaft über diesen vor noch nicht langer Zeit der englischen Krone hinzugefügten Landbesitz für immer sichern dürfte. Der kühne Plan der Kap-Kairo-Bahn wurde von dem weiland ungekrönten Könige von Südafrika, Cecil Rhodes, gefaßt und von ihm noch in seinen Anfangsstrecken ins Leben gerufen, anfangs vielfach verlacht und von ernsthaften Männern für eine Unmöglichkeit bezeichnet; er reift seiner Vollendung entgegen, denn nur noch etwa 3500 km bilden heute die Lücke zwischen den von Nord und Süd vordringenden, ihrer Vereinigung zustrebenden Schienensträngen der großen Oberlandverbindung, die unter Benutzung einiger Nilstrecken den ganzen schwarzen Erdteil von Nord nach Süd durchqueren soll. Auch diese Verkehrslinie dürfte zweifellos das politische Übergewicht von Großbritannien und die Vormacht seines Handels hier noch weiter befestigen. Besonders ihr jetziges beschleunigtes Vordringen von Süden her, in Rhodesien über Brockenhill, in den belgischen Katangabezirk hinein, wo das Verbindungsglied zwischen der britischen und der kongolesischen Baustrecke der Kap-Kairo-Bahn am 12. Dezember 1909 in Gegenwart von Vertretern Englands und Belgiens feierlich eröffnet worden ist, soll und wird voraussichtlich dem britischen Reich einen wichtigen Anteil an der wirtschaftlichen Ausbeutung dieses reichen Erzbezirks im belgischen Kongogebiet sichern.
Auch in den britischen Kolonien von Westafrika, in Sierra Leone, an der Goldküste, in Lagos-Nigerien, sowie in Britisch-Ostafrika geht England tatkräftig mit dem Bahnbau vor und in kurzer Zeit wird nicht nur der Niger, sondern auch der wichtige Handelsplatz Kano mit der Küste durch eine Bahn verbunden sein. Die 940 km lange Ugandabahn in Britisch-Ostafrika, die das ganze Hinterland des großen Viktoriasees binnen kürzester Zeit erschlossen hat, darf als eine geradezu vorbildliche koloniale Tat des britischen Reiches bezeichnet werden.
An zweiter Stelle ist Frankreich zu nennen, das im Nordwesten von Afrika in Algier und Tunis, ein systematisch angelegtes Eisenbahnnetz, Ende 1908: 5388 km, geschaffen hat und in seinen westafrikanischen Kolonien, am Senegal und Niger, an der Elfenbeinküste, in Guinea und Dahomé überall seine Bahnbauten mit Nachdruck vorwärts treibt, um das Land zu erschließen und den Handel seiner Schutzgebiete zu entwickeln. Auch an der Somaliküste sowie auf den Inseln Madagaskar und Reunion hat Frankreich wertvolle Bahnen geschaffen. Ihre Gesamtlänge im Jahre 1908 übersteigt 2200 km. Im französischen Kongogebiet ist es zurzeit erst bei allgemeinen Plänen und Erkundungen geblieben.
Belgien, als Besitzer des ehemaligen Kongostaates, der heutigen Kongokolonie, hat sich um die Erschließung dieses großen, zum Teil an Naturschätzen, namentlich auch Edelmetallen besonders reichen Gebietes, wesentliche Verdienste erworben. Es ist ihm gelungen, ein Verkehrsnetz zu schaffen, das sich aus lang ausgedehnten, meist natürlichen Wasserstraßen und Eisenbahnen zusammensetzt, die die Schifffahrtshindernisse der Stromschnellen überwinden sollen. An dem Ausbau dieses Verkehrsnetzes wird eifrig und erfolgreich gearbeitet. In letzter Zeit scheint der Bau einer Eisenbahn von Kongolo in östlicher Richtung nach Albertville, nördlich des Lukugaflusses, im ganzen 280 km lang, zur Verbindung des Lualaba (Kongo) mit dem Westufer des Tanganjika-Sees besonders gefördert zu werden. Diese Eisenbahn ist von Bedeutung für das an den See östlich angrenzende Deutsch-Ostafrika. Einzelne Strecken des geplanten Bahnnetzes sind bereits im Betriebe Ende 1910: 881 km – und gewähren schon jetzt eine reiche Rente auf die angelegten Baukapitalien.
Deutschland, das zuletzt in die Reihe der europäischen Kolonialmächte eingetreten ist, war infolge der von Anfang an lange Jahre hindurch gezeigten Unentschlossenheit der Regierung, infolge des Mangels an Interesse und Verständnis für die kolonialen Aufgaben in den weitesten Kreisen des Volkes, am meisten zurückgeblieben in der Erfassung und Erfüllung der Aufgaben auf dem Gebiete des Eisenbahnbaus zur Erschließung seines kolonialen Besitzes.
Sieht man die Übernahme der Lüderitzschen Erwerbungen durch das Deutsche Reich im Jahre 1884 als den Beginn der kolonialen Betätigung an, so ergibt sich, daß in den ersten 20 Jahren, bis zu Ende des Jahres 1904, in allen deutschen Schutzgebieten zusammen die bescheidene Zahl von nur 479 km Bahnen zur Betriebseröffnung gelangt war. Erst der Aufstand von Südwestafrika mit seinen schweren Opfern an Hab und Gut und Menschenleben hat dem deutschen Volke die Augen geöffnet und einen heilsamen Umschwung in der öffentlichen Meinung herbeigeführt. Das deutsche Volk lernte wieder an seine in früheren Jahrhunderten bewährte kolonisatorische Kraft und Befähigung glauben, faßte wieder Vertrauen in die Zukunft seines bisher häufig zu Unrecht geschmähten überseeischen Kolonialbesitzes und wuchs in die neuen kolonialen Aufgaben allmählich hinein. Der nach der Auflösung vom Dezember 1906 neugewählte Reichstag bewilligte die Mittel für die Niederwerfung des Aufstandes in Deutsch-Südwestafrika, für die Weiterführung der Eisenbahn Lüderitzbucht-Aus nach Keetmanshoop und für die Errichtung des neuen Kolonialamtes als einer obersten Reichsbehörde. Der Chef der neuen Reichsbehörde (ein Kaufmann von ungewöhnlicher Tatkraft) reiste im Sommer 1907 selbst in das ostafrikanische Schutzgebiet, um sich aus eigener Anschauung ein Urteil zu bilden über die Möglichkeiten und Vorteile des Eisenbahnbaues zur Erschließung der Schätze des Landes. Die Frucht dieser Reise war eine Kolonialbahnvorlage für 5 neue Schutzgebietsbahnen – im ganzen rund 1460 km – deren Mittel im Betrage von rund 157 Mill. M. Anfang Mai 1908 in Form einer Kolonialanleihe vom Reichstag bewilligt wurden. Der Bahnbau hat seitdem raschere Fortschritte gemacht: Die ersten 1000 km Betriebslänge fertiger Bahnen wurden im Jahre 1906, das zweite Tausend bereits im Jahre 1909 erreicht und überschritten. Nach den bisherigen Bewilligungen kann man damit rechnen, daß bis zum Jahre 1914 etwa 4000 km Bahnen in den Deutschen Schutzgebieten im Betrieb stehen werden. Insbesondere wird Tabora in Ostafrika vom Bahnbau voraussichtlich im Jahre 1912 erreicht werden.
Portugal kommt an der Westküste, in Angola, mit seinen Bahnbauten nicht recht vorwärts; insbesondere scheint die geplante Lobito- oder Benguellabahn, die zur Erschließung des Katangabezirks östlich bis in das belgische Kongogebiet vordringen sollte, einstweilen weit vom Ziel zum Stillstande gelangt zu sein, da die Baumittel erschöpft waren. Neuerdings hat sich die Londoner Firma Pauling & Co. um die Fortführung der Benguellabahn beworben und scheint den Bau nachdrücklich zu betreiben. Bis die Bahn indes den Katangabezirk erreicht, dürfte noch geraume Zeit vergehen. Dagegen haben die Bahnen in Portugiesisch-Ostafrika, die Beira- und die Delagoabahn durch ihren Anschluß an das südafrikanische Eisenbahnnetz der britischen Kolonien erheblich an Bedeutung gewonnen; sie stellen die natürliche, kürzeste Verbindung dar, erstere von Rhodesia, letztere von Transvaal mit der Küste des Indischen Ozeans. Durch das neue Transvaal-Mozambique-Abkommen sind die lange Zeit schwebenden Tarifstreitigkeiten zwischen Portugal und Transvaal endgültig beigelegt, wobei es der Delagoabahn gelang, sich einen Anteil an dem gesamten Transvaal-Ein- und Ausfuhrverkehr von mindestens 50 bis zu höchstens 55% zu sichern. Die Gesamtlänge der portugiesischen Bahnen in Afrika belief sich im Jahre 1908 auf 1386 km.
Von Italiens Eisenbahnfortschritten in Afrika ist zu melden, daß die 115 km lange Militärbahn Massaua-Asmara an der Somaliküste mit Ende des Jahres 1906 vollendet und in Betrieb genommen ist. Über die geplante Fortführung dieser Bahn ins Innere in westlicher Richtung ist Genaueres noch nicht bekannt geworden.
Spaniens koloniale Bestrebungen in Marokko und die jüngsten kriegerischen Ereignisse haben dazu geführt, daß bei Melilla der Anfang mit einem Bahnbau in Richtung auf Fez gemacht worden ist; seine Fortschritte dürften durch die noch fortdauernden kriegerischen Verwicklungen wesentlich gehemmt, wenn nicht ganz vereitelt werden.
Die Entwicklung und der gegenwärtige Stand des Eisenbahnwesens in den einzelnen Ländern und Kolonien Afrikas wird unter den Stichworten der einzelnen Landgebiete ausführlicher behandelt. (Vgl. die Artikel: Ägypten, Algier, Belgisch-Kongo, Britisch-Ostafrika, Britisch-Südafrika, Britisch-Westafrika, Britisch-Zentralafrika, Deutsch-Ostafrika, Deutsche Schutzgebiete, Deutsch-Südwestafrika, Erithrea, Französisch-Kongo, Französisch-Somali, Französisch-Westafrika, Kamerun, Kap-Kairo-Bahn, Katangabezirk, Liberia, Madagaskar, Marokko, Mauritius, Portugiesisch-Ostafrika, Portugiesisch-Westafrika, Reunion, Saharaquerbahn, Sao-Thomé, Togo, Tripolis, Tunis.) Nachstehend lassen wir eine Zusammenstellung der im Betrieb befindlichen Eisenbahnen nach den einzelnen Ländern und Schutzgebieten Afrikas folgen, die sich zum Teil auf die Veröffentlichung im Archiv für Eisenbahnwesen: Die Eisenbahnen der Erde, 1911, S. 614, stützt. Da die Betriebslängen infolge der fortschreitenden Bautätigkeit bei vielen Bahnen ständig zunehmen, so können die angegebenen Zahlen auf unbedingte Genauigkeit keinen Anspruch machen.
Betriebslänge am Ende des Jahres:
km Ägypten 1909 5638 Algier 1910 3297 Tunis 1908 2150 Belgisch-Kongo 1910 881
Britisch-Südafrika:
Kapkolonie 1909 5340 Natal 1909 1759 Transvaal und Oranjekolonie 1909 4167 Betschuanaland u. Rhodesia 1909 3120
Deutsche Schutzgebiete:
Ostafrika 1910 717 Südwestafrika 1910 1404 Togo 1910 298 Kamerun 1910 107
Englische Schutzgebiete:
Britisch-Ostafrika 1909 940 Sierra Leone 1909 410 Goldküste 1909 270 Lagos-Nigeria 1908 523 Britisch-Zentralafrika 1908 192 Mauritius 1909 212
Französische Schutzgebiete:
Sudan, Senegal, Guinea, Elfenbeinküste, Dahome 1908 1562 Somaliküste (Abessinien) 1909 309 Madagaskar 1908 270 Réunion 1909 127
Italienisches Schutzgebiet:
Erithrea 1909 115
Portugiesische Schutzgebiete:
Angola 1908 679 Mozambique 1908 707
Infolge der zur Zeit lebhaften Bahnbautätigkeit im Katangabezirk, in Nigerien, im französischen Sudan, in den Deutschen Schutzgebieten u.s.w. wird die Länge des Netzes sich in wenigen Jahren um einige 1000 km steigern.
Baltzer.
http://www.zeno.org/Roell-1912. 1912–1923.