Tiertarife

Tiertarife

Tiertarife regeln die Beförderungspreise und Beförderungsbedingungen für lebende Tiere. Als Tiere gelten im allgemeinen Pferde, auch Ponies, Großvieh (Rindvieh, Maultiere, Esel, Fohlen u. dgl.), Kleinvieh (Schweine, Kälber, Schafe, Ziegen, Hunde, Gänse u.s.w.). Tarifarisch gehören Tiere zu den niedrig tarifierenden Beförderungsgegenständen, denn die Tierfrachten entsprechen z.B. in Deutschland ungefähr den Sätzen des Spezialtarifs III und des Rohstofftarifs, sind also im Verhältnis zum Wert des Gutes sehr gering. Ihre durchschnittliche Höhe wird noch wesentlich heruntergedrückt durch die zahlreichen Ermäßigungen für Zuchttiere und Weidetiere und die frachtfreie Rückbeförderung der Tiere von Ausstellungen; die stets zugleich als Märkte dienen. Demgegenüber sind die Selbstkosten der Eisenbahn infolge der raschen Beförderung hoch. Für die Berechnung der Tierfrachten können die geläufigen Grundsätze der Gütertarife nicht Anwendung finden, vielmehr wird in den einzelnen Ländern ganz verschieden verfahren und ein im wesentlichen einheitliches Tarifsystem ist nicht vorhanden. Deutschland, Dänemark, Frankreich und die Niederlande legen der Frachtberechnung die Ladefläche des benutzten Wagens zu grunde, Österreich-Ungarn daneben beim Zuchtvieh die Stückzahl der benutzen Wagen und Ungarn z.T. das Gewicht der Tiere; Belgien, Norwegen, Schweden gehen von der Stückzahl der Tiere aus. Die Schweiz und Rumänien lassen die Stückzahl der benutzten Wagen entscheiden, ebenso Rußland bei Pferden, während es im übrigen die Fracht nach der Stückzahl der Tiere berechnet; England legt bei Pferden die Stückzahl, bei Groß- und Kleinvieh die Länge des benutzten Wagens, Italien das Ladegewicht des benutzten Wagens und die Vereinigten Staaten das Gewicht der Tiere der Frachtberechnung zu grunde. Jedes dieser Tarifsysteme hat seine Vorzüge und seine Nachteile; seine praktische Durchführbarkeit hängt vielfach von Handelsgewohnheiten und Rücksichten auf die Landwirtschaft ab. Die Mängel, die den einzelnen Systemen anhaften, sind wohl erkannt, indes eine allgemein befriedigende, den Interessen der Versender, Empfänger und der Eisenbahn in gleichem Maße gerecht werdende Lösung ist trotz vielfacher Versuche bisher nicht gefunden.

I. Bei der Frachtberechnung nach dem Gewicht ist zu unterscheiden, ob ihr das wirkliche Gewicht oder ein Normalgewicht zu gründe gelegt werden soll.

1. Die Frachtberechnung nach dem wirklichen Gewicht sichert eine gleichmäßige Behandlung der Verfrachter, fördert die Interessen an der Gestellung großer Wagen und vermeidet den Anreiz zum Zusammendrängen der Tiere; sie setzt voraus, daß ein Handel nach Gewicht besteht, was nicht überall der Fall ist; ferner, daß geeignete Wägevorrichtungen auf allen Stationen vorhanden sind. Sie führt aber zur Verlangsamung der Beförderungen, sowohl bei Einzeltieren, die sich häufig nicht ohne Widerstand zur Wage führen lassen, als auch bei ganzen Wagenladungen, für deren Verbringung nach und von der Gleiswage nicht immer Verschiebemaschinen zur Verfügung stehen werden; Zugverspätungen, Anschlußversäumnisse, Verschlechterung des Wagenumlaufs, Nachteile für die Tiere selbst sind die unausbleiblichen Folgen. Zur Verminderung des Gewichts werden die Tiere ohne vorherige Fütterung und Tränkung verladen und das Fleisch wird schließlich infolge der ungleichen Fleischausbeute auch ungleichmäßig mit Fracht belastet. Eine gerechte Durchführung des Gewichtssystems nach Lebendgewicht wird wegen der Sperrigkeit der Tiere die Fläche bei der der Station obliegenden Auswahl des Wagens nicht außer Betracht lassen dürfen, da es auch erforderlich sein wird, eine bestimmte Höchstzahl der in einen Wagen zu verladenden Stücke festzusetzen, um Frachtungleichheiten und Bevorzugungen vorzubeugen, die sich aus der Verladung einer größeren Stückzahl in Wagen mit besonders großem Laderaum ergeben.

2. Das Normalgewichtssystem vermeidet die Nachteile des Lebendgewichtsystems und besitzt dessen Vorteile, wenn die Normalgewichte verschiedener Tierarten so niedrig gegriffen werden, daß sich hiernach fast regelmäßig die billigsten Frachten ergeben. Dieses System ist in Österreich neben der Frachtberechnung nach der Ladefläche fakultativ zugelassen. Gegen die Feststellung solcher Normalgewichte kann eingewendet werden, daß für Gebiete, die nach ihrer geschichtlichen Entwicklung volkswirtschaftlich nicht zu eng verknüpft, räumlich weit ausgedehnt, landwirtschaftlich anders geartet sind, die Festsetzung verschiedener Normalgewichte notwendig sein wird. Dieses erschwert oder macht die Herstellung direkter Tarife so gut wie unmöglich. Das Interesse der Verfrachter an der Gestellung großer Wagen führt leicht zu dem Nachteil ungünstiger Wagenausnutzung. Auch wird Magervieh für dasselbe Gewicht frachtpflichtig wie Schlachtvieh, was volkswirtschaftlich nicht gerechtfertigt ist.

II. Bei der Frachtberechnung nach der Stückzahl kann eine Normalstückfracht oder eine Staffelung der Stücksätze in Frage kommen. Die erstere Berechnungsart bezweckt die Berechnung der Fracht nur nach der Stückzahl der verladenen Tiere. Inhaltlich gibt sie hiermit alle Vorteile des Wagenraumsystems auf, das Interesse der Versender an der Gestellung und Ausnutzung ganzer Wagen geht verloren, ein erhöhter Wagenbedarf ist die unausbleibliche Folge. Sie erfordert auch eine Tierklassifikation, ohne die Sicherheit einer in allen Fällen gleichen und gerechten Frachtbelastung zu bieten.

Eine Staffelung der Stücksätze hat zur Voraussetzung, daß die auf den m2 entfallende Zahl der einzelnen Tiere annähernd gleich ist und daß die als Norm festzusetzenden Durchschnittsziffern den tatsächlichen Verhältnissen im einzelnen Fall nicht wesentlich widersprechen. Das ist aber nach allen Erfahrungen auf diesem Gebiet nicht der Fall.

III. Die Frachtberechnung nach der Ladefläche des benutzten Wagens kommt dem im Gütertarif aufgestellten Grundsatz hinsichtlich der nach dem Ladegewicht tarifierenden Güter am nächsten; bestmögliche Wagenausnutzung und deshalb Verringerung des Wagenbedarfs und der Beförderungskosten sind die anerkannten Vorzüge dieses Systems, das kaum zu ernsteren Beanstandungen Veranlassung geben würde, wenn der Wagenpark der Eisenbahnen aus Wagen mit einer einheitlichen Ladefläche bestände. Das trifft aber nicht zu. Deswegen bewegen sich die Klagen gegen dieses System vornehmlich in folgender Richtung: es sei ungerecht, weil es Zahlung für eine nicht gewünschte Leistung verlange; es behandle die Versender ungleichmäßig, indem dem einen der verlangte Wagen gestellt würde, dem andern nicht; die Frachtberechnung nach der Ladefläche sei auch wirtschaftlich verfehlt, weil sie die verschiedenen Tierarten nicht im gleichen Verhältnis zu ihrem Wert belastet. Hierzu ist zu bemerken, daß die Frachtverteuerung, die für kleinere Sendungen durch den Übergang zu größeren Wagen eintritt, ein Vorgang ist, mit dem die Interessenten wenigstens bei niedrig tarifierten Beförderungsgegenständen sich abfinden müssen, wenn anders nicht die wirtschaftlichen Vorteile der Vergrößerung der Wagen verloren gehen sollen. In dieser Hinsicht liegt die Sache beim Übergang zu größeren Ladeflächen im Tierverkehr genau so wie beim Übergang zu größeren Ladegewichten im Güterverkehr. Die Vergrößerung des Laderaums und Ladegewichts in Verbindung mit den Tarifvorschriften über die Berechnung der Fracht nach Ladefläche oder Ladegewicht ermöglicht allein eine gute Ausnutzung der Wagen und damit die möglichste Verbilligung der aus der Vorhaltung der Wagen entstehenden Kosten und der Beförderungskosten. Für den Güterverkehr ist auch infolgedessen die Beschaffung der Wagen mit niedrigem Ladegewicht im allgemeinen aufgegeben.

Es hat nicht an Versuchen gefehlt, im Rahmen dieses Systems Unterarten zu schaffen, die die Härten ausgleichen und die Mängel beheben sollen; indessen auch diesen ist der praktische Erfolg versagt geblieben.

Über die Einzelheiten der T.s. Gütertarife.

Grunow.


http://www.zeno.org/Roell-1912. 1912–1923.

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